Kiez-Kloster in Prenzlauer Berg

Laut ist es auf der Greifswalder Straße. Die Trams poltern im Minutentakt durch die Straße, der Strom aus Autos und Fahrrädern scheint nie zu enden. Aber es gibt ein Entrinnen. Hinein geht es durch die Toreinfahrt der Greifswalder Straße 18 A auf den großen Hof und schon verklingt der Alltagslärm.

An einem sonnigen Tag im April laden die vier Patres des Herz-Jesu-Klosters Berlin zum „Offenen Tag der Klöster“ ein. Es ist eine der Gelegenheiten, mehr über den aktiven Männerorden zu erfahren, der sich mitten in Prenzlauer Berg positioniert hat, um Stadtmenschen mit Glaubensfragen zu konfrontieren.

An diesem Tag finden etwa 100 Menschen den Weg in den Hinterhof. Darunter befinden sich auch viele ältere Menschen, die hier ihre Kindheit oder Jugend verbrachten. Ende des 19. Jahrhunderts entstand an dieser Stelle der Katharinenstift der Dominikanerinnen, in dem Waisenkinder in Kriegszeiten ein Zuhause fanden. Zum Offenen Tag der Klöster sind ehemalige Dominikanerinnen zu Besuch. Im Saal packen sie brüchige Fotopapiere aus, die die Geschichte des Hauses erzählen. Wie eine Zuflucht muss der heute denkmalgeschützte Komplex auf die Schwestern und ihre Schützlinge gewirkt haben, als an dieser Stelle mitten im zweiten Weltkrieg alle zusammenkamen.

Heute gehört ein Großteil des Backstein-Komplexes zum „Katholischen Schulzentrum Edith Stein“, das hier seit 1995 beheimatet ist und junge Erwachsene in sozialen Berufen ausbildet. Nebenan ist aber weiterhin das christliche Leben. Pünktlich um 7 Uhr lädt Pater Ryszard Krupa jeden Tag zum Morgengebet in die ehemalige Hauskapelle „Mater dolorosa“ ein. Nur montags könne er ein wenig länger schlafen, dann finden die Laude um 8 Uhr statt, so Krupa. Er ist einer der vier Patres, die sich in und um Prenzlauer Berg engagieren. Pater Tarcisío Darrós Feldhaus lebt seit 2012 in Berlin und ist unter anderem Seelsorger der portugiesisch- sprachigen Gemeinde. Pater Jacinto Weizenmann leitet die Pfarrei Corpus Christi.

Die Herz-Jesu-Priester sind seit 1908 in Deutschland aktiv. Heute gibt es sechs deutsche Standorte – in Berlin, Freiburg im Breisgau, im Emsland, Eifel und in Neustadt an der Weinstraße, an denen mehr als 50 Priester aus dem In- und Ausland tätig sind. Der Orden wurde 1878 von dem Franzosen Leo Dehon gegründet, weshalb er auch unter dem Namen „Dehonianer“ bekannt ist.

 

Ungläubige Zeiten

Die Mission des Ordens: Hinausgehen in die Welt, Hoffnung säen, Gutes tun und den Glauben auch an kirchenferne Menschen herantragen. Mit genau diesem Gedanken wurden die Herz-Jesu-Priester mitten in der Hauptstadt ansässig. „In Berlin sind die meisten Menschen nicht konfessionsgebunden“, weiß Krupa. Ende 2017 veröffentlichte die Tageszeitung „neues deutschland“ konkrete Zahlen: 24,96 Prozent der Berliner gehören der evangelischen oder katholischen Kirche an. Das ergab die Antwort der Justizsenatsverwaltung auf eine Anfragedes LINKE-Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg.

Auch wenn der Glaube an die Institution Kirche stark zurückgegangen ist: Trotzdem beschäftigen die Menschen sich mit den großen Fragen. Wie soll ich leben? Warum ist es so, wie es ist? Wer bin ich und wer will ich sein?

 

Über Gott und die Welt plaudern

Die Herz-Jesu-Priester möchten den Sinnsuchenden die Möglichkeit geben, gemeinsam Antworten zu finden. Jeden dritten Mittwoch im Monat ist Krupa in der Bar Gagarin anzutreffen. ‚Über Gott bei Gagarin’ heißt die offene Gesprächsreihe, die alle dazu einlädt, miteinander in Kontakt zu kommen. Mal sitzt er mit nur einem Gast am Tisch, was ein intensives Gespräch zulässt, mal ist es eine kleine Gruppe. „Viele sind im ersten Moment vor allem neugierig, was denn nun eigentlich bei einer solchen Veranstaltung passiert“, so Krupa, „dann erzählen sie etwas von sich, haben Fragen oder suchen Verständnis und Fürsprache“.

Unter den Gästen sind oft Gläubige, die vielleicht einer Gemeinde angehören, in dieser aber nicht den Raum finden, persönliche oder kritische Fragen zu stellen. Hier sind der Pater und seine Kollegen genau die Richtigen. Sie verkörpern das Gegenteil von Dorfpfarrern, die alles über ihre Schäfchen wissen und auch über diese richten.

Die Patres kommen aus Brasilien, Deutschland und Polen. Krupa kam vor sechs Jahren nach Berlin. Zuvor war er mehr als 20 Jahre bei der Stiftung Johannes Paul II. in Lublin tätig, einige Jahre davon war er Direktor des Studentenheims. Seit 2015 ist er Seelsorger im St. Hedwigskrankenhaus Berlin. Außerdem ist er Hauptverantwortlicher des Herz-Jesu-Klosters.

Das Projekt „Kiez-Kloster“ liegt in gemeinsamer Verantwortung des Ordens und des Erzbistums Berlin. Beim Gärtnern und Wandern die Schöpfung wertschätzen Die Teilnahme am bundesweiten Tag der offenen Klöster ist eines von vielen Angeboten im Rahmen des Projektes. Gemeinsam mit freiwilligen Helfern legte das Team einen klösterlichen Urban Garden an, der dieser Tage Tomaten, Funkien und Sommerblumen auf dem Klosterhof grünen und blühen lässt.

Zum Repertoire gehören auch Gottesdienste mit Rapeinlagen und Haustier-Gottesdienste, zu denen Besucher ihren Wellensittich, Hund und Katze mitbringen können. Für die Organisation und den Ablauf der verschiedenen Programmpunkte ist Krupa gemeinsam mit Pater Markus Mönch verantwortlich. Mit einem Singlegottesdienst unter dem Motto „Wer suchet, der findet (nicht immer)“ sprach Mönch am Vorabend des Valentinstags Alleinstehende an. Auch zum kommerziellen Tag der Liebe soll sich niemand allein fühlen, nur weil er keinen Partner an der Seite hat. Im vergangenen Jahr lud er außerdem zum ersten Mal zum gemeinsamen „Kurzzeitpilgern“ im Brandenburgischen ein. „Viele Menschen waren dankbar, in der ersten Wanderstunde einmal ausdrücklich nicht reden zu dürfen“, erzählt er.

Wer mit ihm über Gott und die Welt reden möchte, findet beim ihm aber immer ein offenes Ohr und Herz. Mönch ist in Rheinland-Pfalz verwurzelt, wo der 45-Jährige an der Mosel aufgewachsen ist. Nach seinem ersten Leben als Bankkaufmann hat er sich für eine spirituelle Lebensweise entschieden. Im Herz-Jesu- Kloster Freiburg ließ er sich zum Herz-Jesu-Priester ausbilden und erhielt die Weihe. Nach weiteren Jahren in Freiburg zog es ihn nach Berlin. Er kam in der Gemeinde Corpus Christi in Prenzlauer Berg an. Heute ist er Krankenhausseelsorger im Vivantes Klinikum am Friedrichshain und mit Krupa für das „Suchendenpastoral“ im Herz-Jesu-Kloster verantwortlich, wie das Kiez-Projekt im Kirchenjargon genannt wird.

 

Gekommen, um zu bleiben

Die Dominikanerinnen werden an diesem Nachmittag immer wieder angesprochen, bekommen Geschichten und Schicksale zu hören, denen sie andächtig lauschen. Pater Krupa schenkt Kaffee aus, während Pater Feldhaus in der Kapelle steht, um den Vortrag der Kunsthistorikerin Christine Goetz vorzubereiten.

Sie war bis 2017 Kunstbeauftragte des Erzbistums Berlin und erklärt an diesem Nachmittag, was das Besondere an den drei Bleiglasfenstern ist: Diese wurden vor mehr als 100 Jahren von der Mayer’schen Hofkunstanstalt gefertigt und sind ein seltenes Relikt dieser Zeit.

Ganz persönlich wird es, als die Patres zur Besichtigung ihrer Wohnungen auf dem Gelände einladen. „Es gibt aber eher keine vergoldeten Badewannen“, so Krupa und spricht mit einem Mitarbeiter über ein tropfendes Rohr in seiner Wohnung.

Der Tag des offenen Klosters steht unter dem Leitthema „Gut. Wir sind da.“ Und tatsächlich bekommt man diesen Eindruck: Es ist wirklich gut, dass die Patres da sind. Wenn das Engagement der Glaubensbrüder die Antwort auf digitale Einsamkeit, Resignation und Zynismus ist, dann, so Gott will, soll es sein. ■

 

Text und Fotos: Christiane Kürschner