Auf dem Hinterhof der lebendigen Pappelallee 44 ist es erstaunlich leise. Die Ruhe aus Bienensummen und Vogelgezwitscher wird nur durch die S-Bahn unterbrochen, woran man sich aber schnell gewöhne und es schließlich kaum mehr hört, erzählt Anwohnerin Ayla Holthöfer. Ingrid Vetter wohnt nebenan, in der Pappelallee 43, und genießt im Sommer den Blick auf den blumenübersäten Garten. Beide Frauen sind Genossenschaftlerinnen und leben in generationsübergreifenden Projekten, die ein sozialverträgliches Miteinander im Kiez ermöglichen.

Ein beispielhafter Leuchtturm

Ingrid Vetter ist in Berlin angekommen. Mehr als 45 Jahre lebte sie in einem kleinen Ort in der Nähe von Nürnberg, ein Leben ohne Auto erschien ihr damals unmöglich. 2012 zieht es sie in die Hauptstadt, ihrer Tochter wegen, die in Berlin ihren Lebensmittelpunkt gefunden hat. Bereits in ihrer alten Heimat beschäftigte Ingrid sich mit dem Thema generationsübergreifendes Wohnen, besuchte Projekte. Die Atmosphäre überzeugte sie aber nicht immer. Irgendwann breche immer der Wettstreit aus, wer mehr Arztbesuche und Krankheiten vorzuweisen hätte. Frau Vetter, das ehemalige CSU-Mitglied, ist offen für Neues. Sie ist auch in Berlin auf der Suche nach einer Wohnung, in der sie gut und barrierefrei leben kann. Als Seniorin in Berlin eine Wohnung zu finden, ist keine leichte Aufgabe, im Prenzlberg ist es bei einer durchschnittlichen Kaltmiete von 15 Euro eine sehr schwere Aufgabe. Sie stößt im Internet auf die Leuchtturm eG, die ein generationsübergreifendes Wohnprojekt ins Leben gerufen hat. Im Jahr 2009 wurde das siebengeschossige Wohnhaus in der hinteren Pappelallee von 27 Erwachsenen und 15 Kindern bezogen, nun ist noch eine Wohneinheit frei. Ingrid Vetter wird zum Plenum der Genossenschaft eingeladen, schließlich wohnt sie ein Wochenende zur Probe und ist von der Stimmung im Haus begeistert. „Die Bewohner kamen klopfen, stellten sich vor und interessierten sich dafür, wer da einziehen möchte“, so Vetter. Eine wichtige Sache, da einstimmig darüber entschieden wird, wer einziehen darf. Frau Vetter wird gemocht und bekommt die Zustimmung. Die Bayerin sagt zu und wird zur Genossenschaftlerin.

Wohnen entsprechend der individuellen Bedürfnisse

Die bodentiefen Fenster ihrer kompakten Wohnung lassen viel Licht hinein und geben den Blick auf den Garten frei, der im Sommer ein blühender Teppich ist. Sie hätte sich erst einmal auf die geringe Größe der Wohnung einstellen müssen, aber im Sommer wohne sie sowieso draußen, erzählt Ingrid. Die Größe der Wohneinheiten ist Teil des Konzeptes. Alle individuell genutzten Flächen sind zu Gunsten der gemeinschaftlich genutzten Flächen reduziert – jeder bekommt soviel Wohnraum, wie er benötigt. Das zentrale Gästezimmer kann gegen eine geringe Gebühr für Besuch angemietet werden, es gibt eine Waschküche und einen Gemeinschaftsraum, der zum Verweilen und zum Austausch einlädt. Verändern sich die Bedürfnisse der Bewohner, kann flexibel reagiert werden. Das Haus ist nämlich auf 20 Säulen errichtet. Die Wände sind so flexibel verschiebbar. Im dritten Stock wohnen zwei Parteien, die sich die Küche teilen, den vierten Stock teilen sich zwei Familien mit Kindern, die hier in einer Wohngemeinschaft leben. Sollten die Konstellationen sich einmal ändern, kann der benötigte Wohnraum angepasst werden.

Lebenslanges Wohnrecht anstatt Eigentum

Möglich ist das generationsübergreifende Wohnen durch die Struktur der Genossenschaft. Die Leuchtturm eG gründete sich 2007, um den Traum vom selbstverwalteten Leben im Herzen Berlins möglich zu machen. Wer in die Pappelallee 43 einziehen möchte, zahlt einen Eigenanteil ein, die Mietkosten bewegen sich weit unter dem ortüblichen Preis. Niemand kauft seine Wohnung, jeder hat jedoch ein lebenslanges Wohnrecht. Zieht man aus, erhält man seinen Genossenschaftsanteil zurück. Ähnlich ist es in der Pappelallee 44. Hier zogen 2012 die ersten Bewohner ein. Ein Zufall ist es nicht, dass zwei Mehrgenerationenprojekte nebeneinander liegen.