„Der Klang einer Stadt macht was mit Dir – wenn Du hinhörst“

„Wir machen städtische Musik, ganz klar. Was das meint, ist mir mal vor ein paar Jahren aufgegangen, als ich von zu Hause die sieben Minuten hierher gelaufen bin. Anfangs hatte ich noch eine bestimmte Musik im Ohr, doch auf dem Weg hierher hörte ich auf der Straße von irgendwoher erst türkische danach polnische Musik; vorne an der U-Bahn stand dann eine amerikanische Singer-Songwriterin, die niemals im Radio gespielt werden wird; aus einem Auto tönte arabische Musik … das alles in einem schnellen Durchlauf. Wenn ich meine Ohren aufmache und diese ganzen Musiken miteinander verbinde … das geht nur in Städten.

Das heißt, der Klang einer Stadt macht was mit Dir – wenn Du hinhörst. Als Musiker erkenne ich die Zusammenhänge die es zwischen diesen Klängen gibt. Ich bin fasziniert von der Rhythmik, vom Songaufbau, den Akkorden, mich interessiert die Melodie oder der Schwung einer Musik … was habe ich da gerade gehört, was spielen die? Ah, das ist ja noch Pentatonik, und das da sind ja die gleichen Töne, aha, aber eher so, OK, das ist eine Cajun-Melodie, lass uns die doch mal mit einem Siebener spielen, OK, wir spielen ‚Apache‘, erkennt man, aber lass uns das mit einem Neuner kombinieren … ich glaube, das ist städtisch und urban.“

Ich werfe ein, dass viele Stücke der Hippies mit ihrem Klang, ihrem Swing und ihrer Dramaturgie zumindest mich an solche Musik erinnern, die man bestimmten geografischen Regionen oder Stilen zuordnet, etwa der Polka des Balkans oder dem Klezmer aus jüdischen Kulturen, die mitunter eher „Dorffeststimmung“ assoziieren als Großstadthektik. Das mag wohl sein, entgegnet Christopher, doch die 17 Hippies spielen „originale“ Vorlagen diese Volksmusikkulturen eben gerade nicht nach, weil sie das gar nicht wollen und könnten, so Blenkinsop:

„Städtische Musik ist meiner Meinung nach auch davon geprägt, dass Du keine Zeit hast, es richtig zu können. Also, wenn Du vom Land kommst, da hast Du Zeit. Und wenn Du in einer Volksmusik groß geworden bist, oder mit einer anderen Musik, die Deine kulturelle Musik ist, dann kannst Du das richtig. In Bezug auf derartige Volksmusik können wir mit den Musikern, die sie spielen, gar nicht mithalten.
Mir ist das sehr bewusst, dass wir das überhaupt nicht können. Und dass mich das auch überhaupt nicht interessiert. Was wir machen und gut können, ist diese ganzen Versatzstücke irgendwie zusammen basteln. Ah, das ist Blues, finde ich auch geil, und das passt mit dem zusammen, das finde ich cool. Du verbindest schnell, Du verbindest Dinge, die überhaupt nicht zusammengehören. Du findest das und das spannend, Du stolperst über eine andere Idee, dann vergisst Du es, baust woanders weiter, es muss fertig werden. Das ist städtisch! Zeitmangel, Überfluss an Angeboten und das Bedürfnis und auch die Lust, fertig zu werden – aber das eben auch gelernt.
Und so entsteht ja Musik. Genau da, wo extrem viele Kulturen aufeinander treffen, da geschehen ja die Dinge, wo man denkt … ich meine, einen ‚Wok-Döner‘ gibt es doch nur in der Stadt. Ein Wok-Döner! Was ist das denn?! Aber in Friedrichshain gibt es das, irgendeiner hat ihn erfunden.“

„Unsere Musik ist in gewissem Sinne kaleidoskopisch“

Genau das mache Musik spannend, so Christopher. Und die Musik der 17 Hippies spiegele eben auf ihre Weise das Berlin, in dem die meisten von ihnen leben, wo sie proben und schöpferisch tätig sind, im Kiez von Kulturbrauerei, Prenzlauer Berg und Umgebung.
„Unsere Musik hat einen osteuropäischen Anteil, weil es hier diese Kulturen gibt, die es im Westen nicht so gab. Aber ebenso enthält unsere Musik auch westliche Anteile, etwa aus dem Französischen oder auch aus den amerikanischen Südstaaten, Cajun, texanische Musik. Ein großer Teil von uns stammt ja aus dem Westen. Einige wiederum sind mit Klassik aufgewachsen, wir haben aber auch einen studierten Jazzer dabei. Das alles hat Einfluss auf unsere Musik, sie ist in gewissem Sinne kaleidoskopisch.“
Dass sie mit dieser bunten „Vielerweltsmusik“ dann auch Assoziationen an ferne Gegenden und ländliches Leben wecken, habe seiner Meinung nach eher mehr mit Sehnsüchten zu tun, die in die Stadt gezogene und alteingesessene Städter damit verbinden oder auf sie projizieren. Und das sei völlig OK, zumal sie als Band über die Jahre feststellten, dass sie beim Publikum desto besser ankommen und schneller verstanden werden, je größer die Stadt ist, in der sie auftreten.

„Diese Art von Umgang mit Kultur unterscheidet eine Großstadt von allem anderen. Nämlich das geräubert wird, genommen wird, das Dinge sich gegenseitig befruchten. … Ich persönlich wollte immer in einer Großstadt leben. Und ich glaube auch, in einer anderen Stadt als Berlin wären die 17 Hippies nicht möglich gewesen.“

Text: Henry Steinhau
[Auszug] Den kompletten Artikel der Mein/4 Printausgabe Juni 2017