Eine Schule wie eine Bühne

Aus der ganzen Welt kommen jugendliche Talente, um in Prenzlauer Berg zum Bühnentänzer und zur Bühnentänzerin ausgebildet zu werden. Manchmal kommen die Talente auch einfach aus der Nachbarschaft. Ein Besuch an der Staatlichen Ballettschule

Text: Carola Dorner, Fotos: Jens Schünemann

Große, helle Fenster, an denen sich junge, schöne Menschen vollendet harmonisch bewegen. Im Ballettsaal, der rechts neben dem Eingang liegt, trainiert eine Jungenklasse klassischen Tanz, ein Stockwerk höher sieht der Betrachter Szenen aus einem Pas de Deux. Hinter diesen riesigen Fenstern im großzügigen modernen Bau leben 200 Schülerinnen und Schüler ihren Traum: Sie lassen sich zum Bühnentänzer ausbilden.
Sie kommen nicht nur aus ganz Deutschland, sondern aus der ganzen Welt. Wer nicht, wie Frieda, nach der Schule nach Hause geht, wohnt im schuleigenen Internat.
80 Schülerinnen und Schüler zwischen 10 und 16 Jahren leben hier zusammen, manche kommen aus Bayern, andere aus Europa, Südamerika, Russland oder aus Japan. Insgesamt sind hier Jugendliche aus 26 Nationen zuhause. Neben Ballett und den normalen Schulfächern lernen viele Schüler hier erst einmal Deutsch. Denn das ist die Unterrichtssprache bei jedem Training. Den Kindern und Jugendlichen macht die zusätzliche Sprache in der Regel kein Problem. Eine außergewöhnliche Disiplin und großen Ehrgeiz bringen sie alle mit, wenn sie den Weg zur Elite-Schule nach Prenzlauer Berg auf sich nehmen. Und wer sich jeden Trainingsablauf, jede Choreografie und jede Rolle merken kann, für den ist das bisschen Vokabeln lernen vergleichsweise leicht nebenher zu schaffen. „Wer von weit herkommt, der hat auch ein Ziel und einen sehr starken Willen,“ erklärt Tanzpädagogin Heike Keller. Die ehemalige Ballerina unterrichtet in Friedas Klasse sechs Mal pro Woche Klassischen Tanz und weiß von jeder Schülerin sehr genau, was sie kann und wo noch ein bisschen härter gearbeitet werden muss.

Berufswunsch Profi

Viele Menschen beschließen erst mit 16, 18 oder 20, welchen Beruf sie ergreifen möchten. Die Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Ballettschule Berlin sind zu diesem Zeitpunkt mit ihrer Ausbildung schon fast fertig oder sogar schon im Berufsleben angekommen. Wer im Alter von zehn Jahren durch Eignungstest und Aufnahmeprüfung kommt und die Schullaufbahn mit allen Möglichkeiten durchläuft, hat mit 19 Jahren ein Abitur, einen Studienabschluss in Bühnentanz an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst-Busch“, reichlich Bühnenerfahrung und neun Jahre lang praktisch jeden Tag trainiert.
Die Jugendlichen, die eine normale Schule getauscht haben gegen einen Stundenplan mit 12 Stunden „Klassischer Tanz“ als Schulfach, wissen sehr genau, was sie wollen. Jeden Tag. So wie Frieda.
Frieda Kaden ist 14 Jahre alt und stammt aus Prenzlauer Berg. Das ist ungewöhnlich an der Kaderschmiede. Die meisten ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler haben riesige Strecken zurückgelegt, um hier zu lernen.

Das Mädchen von Nebenan

Für Frieda war der Weg zur Staatlichen Ballettschule Berlin alles andere als weit und auch das Ziel hat sich, wie sie selbst erzählt, erst allmählich ergeben. Sie kam als Kind schon zweimal pro Woche zum Kindertanz, weil sie immer schon großen Spaß an Tanz, Bewegung und Kreativität hatte. Als sie in die vierte Klasse kam, wurde sie gefragt, ob sie nicht versuchen möchte, als Schülerin an die Staatliche Ballettschule Berlin zu wechseln. Sie trainierte, absolvierte Test und Prüfung und wurde Schülerin, ohne sich der Situation so ganz bewusst zu sein. „Mir war gar nicht richtig klar, dass ich damit die Entscheidung für den Beruf getroffen habe. Erst nach den ersten Wochen habe ich realisiert, was das alles bedeutet und wie hart der Alltag ist. Erst dann wollte ich es wirklich. Seit dem läuft es sehr gut.“

Das klingt beiläufig und sieht auch so aus. Wie alles beim Ballett. Dabei steht hinter jeder einzelnen Bewegung Kraftanstrengung, Konzentration, Koordination. Das Publikum, das die Tänzer später auf der Bühne sieht, möchte die Prinzessin bewundern und nicht die Leistungssportlerin. Frieda weiß das natürlich und sie lächelt. Blick, Ausdruck und Gestik sind dem Mädchen genauso wichtig wie das perfekt gestreckte Bein und die präzise Pirouette. Nach 30 Fouettés sieht Frieda aus, als sei das alles ein Spaziergang. Als die 32 Drehungen am Ende des anderthalbstündigen Trainings geschafft sind, endet sie in einer Pose und strahlt. Ein bisschen stolz ist sie schon, wenn ihr die besonders schweren Drehungen gelingen. Oft aber ärgert sie sich auch über Details, die in ihren Augen noch nicht perfekt sind. Frieda weiß, dass sie sehr ehrgeizig ist. Wenn Kleinigkeiten nicht gelingen, kommen Frust und Selbstzweifel. Aber dann erinnert sie sich an ihr Ziel und sie weiß genau, dass sie dafür hart arbeiten muss.