Lifestyle

Adieu, Berlin – ​Von zwei, die lossegelten, um unterwegs zu Hause zu sein ​

Die Idee entstand spontan im Urlaub, die Umsetzung ihres neuen Traumes gingen sie direkt im Anschluss ​an. Doch den Aufbruch in ihr Segelabenteuer mussten sich Franzi und Tobi erst „verdienen“: ​Ihr neues altes Segelboot Zora brauchte intensive Zuwendung, bevor die beiden überhaupt ans ​Lossegeln denken konnten. Noch heute, drei Jahre später, verbinden sie Refit und Langfahrt miteinander. ​Wir telefonierten mit den beiden Abenteurern aus Berlin und sprachen über ihr Wagnis, ​das alte Leben hinter sich zu lassen und dem Ruf des Fernwehs zu folgen. ​

Eine Doktorin der Chemie, ein Veranstaltungstechniker ​und ein altes Segelboot namens Zora – seit drei Jahren ​sind sie nun gemeinsam unterwegs, bislang vornehmlich ​in Griechenland. Wöchentlich veröffentlichen sie unter ​„Wir segeln“ Videos von ihrer Reise auf YouTube. ​Franzi, 40 Jahre, und Tobi, 43 Jahre, sind seit 12 Jahren ​ein Paar. Sie lernten sich in Berlin kennen und trafen ​in einem Urlaub die Entscheidung, ihre Zelte in Berlin ​komplett abzubrechen, um ihr neues altes Segelboot ​zu ihrem Zuhause auf unbestimmte Zeit zu machen. ​

Franzis erste Segelboot-Erfahrung war alles andere als ​eine adäquate Vorbereitung auf das, was sie Jahre später ​gemeinsam mit Tobi entscheiden würde – denn ihrem ​zweiwöchigen Aufenthalt auf einem Dreimaster konnte ​sie so gar nichts abgewinnen. ​Tobi hingegen besaß bereits früher ein Segelboot, dass ​er verkauft hatte, kurz nachdem er Franzi kennenlernte. ​Vor vier Jahren meldete sich dann eine Schulfreundin von ​ihm, deren Vater ein Segelboot besaß und auf einen letzten ​Törn mit Tobi hatte gehen wollen, bevor er sich von ​seinem Boot trennte. Es kam, wie es kommen musste: ​Nach vielen Jahren Pause wurde Tobi doch wieder Bootsbesitzer ​– er kaufte dem Vater seiner Schulfreundin die ​Bavaria 770 ab. ​

Franzi und Tobi machten dann 2016 Urlaub auf diesem ​Boot und segelten von Ueckermünde nach Stockholm. ​Sie spaßten herum, dass fünf Wochen Urlaub einfach ​zu wenig seien und stellten sich ernsthaft die Frage: ​„Wer hindert uns eigentlich daran, das auszudehnen?“ ​Während Tobi über zwei Jahre Vorlauf nachdachte, ​warf Franzi sechs Monate als Bedingung in den Raum. ​Einen Monat nach diesem Urlaub, der alles verändern ​sollte, wurden die beiden im Oktober 2016 für 8.000,– ​EUR stolze Besitzer des alten Segelbootes Zora.

„Das ​war das schlimmste halbe Jahr meines Lebens“, verrät ​uns Tobi. Das Boot erwarben sie bei Athen. Sie mussten ​die Wohnung loswerden, verkauften die meisten ​ihrer Sachen und das Auto, lagerten einzelne Kisten ​ein, planten ihr Abenteuer – und mussten nebenbei ​immer wieder zum Boot fahren, um es instand zu setzen. ​Das Boot lag zu der Zeit in einer teuren Marina, ​die bis zum 1. Juni 2017 bezahlt war – gleichzeitig ​der Startzeitpunkt für die Reise. Im Februar reisten ​Franzi und Tobi dann an, um bis Juni zu bleiben und ​am Boot zu arbeiten. ​Wie lange ihre Segelreise dauern sollte, wusste das Paar ​vorher nicht. „Ich war mir relativ unsicher, ob mir das ​auf Dauer gefallen würde. Dass es ein Jahr lang total ​Spaß machen würde, keine Frage. Ich war vorher so viel ​unterwegs und war immer froh, wenn ich zu Hause war. ​Ich hätte mir vorstellen können, dass mir das zu unstet ​wird“, erzählt Tobi. Franzi hingegen hätte immer reisen ​wollen: „Ich hatte vorher überlegt, ein Jahr Pause zu ​machen und rumzureisen. Ich wusste aber auch nicht, ​wie mir die Bootssache zusagt.“ ​

Mit 50.000 EUR Startkapital, ohne Zeithorizont und ​mit wenig Habseligkeiten ging es los. Zora hat von Anfang ​an viel Aufmerksamkeit und Zuwendung verlangt – ​was bei einer 40 Jahre alten Segelyacht nicht ausbleibt. ​Inzwischen haben die Abenteurer etwa 40.000 EUR ​in das Boot gesteckt. ​Sie kalkulieren mit etwa 1.000 EUR pro Monat für ihre ​Lebenshaltungskosten, in denen auch reguläre Wartungsarbeiten ​enthalten sind. Dieses Geld verdienen ​sie sich mit unterschiedlichen Jobs. Tobi ist dafür auch ​immer mal wieder für vier bis acht Wochen unterwegs, ​um sich um Veranstaltungen zu kümmern, zumindest ​vor Corona.

Der Refit hingegen verlangt nach größeren ​Posten. Dass sie im letzten Jahr fast zehn Monate in einer Werft auf dem Trockenen liegen würden, ​war ebenfalls nicht Teil des Plans. Aus ursprünglich ​zwei Monaten, in denen sie am Boot hätten arbeiten ​wollen, wurden eben ein paar mehr. Denn wenn die ​Arbeit schon im Gange sei, könne man ja auch noch ​eine Waschmaschine einbauen. Die Hauptaufgabe in ​der Werft war jedoch das Antifouling: „In Deutschland ​wird das Zeug jedes Frühjahr neu draufgeklatscht, mehr ​als zwei Jahre hält das normale Zeug aber nicht. Alle ​zehn bis zwanzig Jahre muss man mal den ganzen alten ​Schlonz runterholen. Wir haben das richtig gemacht und ​zweikomponentiges Hart-Antifouling gestrichen. Das ​ist sündhaft teuer, soll aber zehn Jahre halten“, weihen ​uns die beiden in ihre Werftarbeit ein. „Für uns gibt’s ​nichts Schlimmeres als wenn das Boot aus dem Wasser ​gehoben wird. Denn bei uns wird dann das Zuhause ​außer Betrieb genommen“, ergänzen sie. ​

Das eigentliche Segeln mache tatsächlich nur ca. 10 % ​aus, berichten uns Franzi und Tobi. Um segeln zu können, ​seien viele Arbeiten nötig: „Das Boot muss sicher ​und segeltauglich sein.“ Sie machen viel selbst, u. a. ​flicken sie die Segel.​Ihr Segelabenteuer hätte sein ganz eigenes Tempo – doch ​nicht von Beginn an. Es hätte erst einmal die Erkenntnis ​sacken müssen, dass der Urlaub nicht in zwei Wochen ​vorbei wäre und dass „wir nicht in einer bestimmten Zeit ​irgendwas getan haben müssen“, erzählt uns Franzi. Das ​Paar sei immer so entschleunigt, dass eine zwischenzeitliche ​Rückkehr nach Berlin puren Stress bedeute. ​

Ursprünglich wäre angedacht gewesen, im ersten halben ​Jahr aus Griechenland wieder raus zu sein. Nach drei ​Jahren sind Franzi und Tobi noch immer dort – woran ​auch Corona seinen Anteil hat. Auch eine entschleunigte ​Reise hat ihre besonderen Highlights: „Wir waren ​relativ lang auf Zakynthos, wo es viele Schildkröten gab. ​Wir waren in der Bucht, haben entspannt und sind mit ​Schildkröten geschnorchelt.“ ​Die Freiheiten auf dem Boot seien tatsächlich geringer ​als vorher. Aber „wenn wir mit unseren Freunden in ​der Heimat telefonieren und mitkriegen, wie sehr sie ​von ihrer Arbeit gestresst sind, leben wir hier schon ​sehr selbstbestimmt“, geben die beiden zu.

Es seien ​vor allem die kleinen Sachen, die ihren ganz eigenen ​Wert hätten: „Wenn wir allein in der Ankerbucht liegen, ​über die Insel wandern, in einem Dorf einen Kaffee ​trinken und zurückwandern, wenn eine Robbe ums ​Boot schwimmt oder nachts, wenn man die Milchstraße ​sieht – das ist großartig!“ ​Manches ginge auch an ihnen vorbei und dann käme ​die Überraschung, wie vor zwei Jahren, als sie bei einer ​unbewohnten Insel in der Bucht gelegen hätten, ohne ​Handyempfang, abends aufs Deck gegangen seien und ​erstaunt in den Blutmond geblickt hätten. ​

​Wir wollten dem Paar unbedingt einen normalen Tagesablauf ​entlocken. Doch die eine feste Struktur gäbe ​es einfach nicht. Und dass plötzlich so viel Zeit für die ​1.000 Sachen bliebe, die man sich vorher vorgenommen ​hatte, hätte sich laut Tobi auch als Irrglaube entpuppt: ​„Es ist erstaunlich, wie viel weniger Zeit man hat als ​man so denkt. Manchmal komme ich lange nicht zum ​Lesen. Das Boot braucht viel Aufmerksamkeit.“ ​

Ganz alltägliche Gänge bräuchten so viel mehr Zeit, ​wenn das Zuhause auf dem Wasser schwimmt: neues ​Gas besorgen oder Einkäufe erledigen – man müsse erst ​einmal dorthin gelangen, wo es das alles gibt. Einkäufe ​bedeuteten in der Regel Großeinkäufe und müssten ​irgendwie vom Laden ins Boot gebracht werden. Gern ​komme auch noch etwas hinzu, wie Benzin für den ​Beibootmotor. Das bedeutet: Kanister schnappen, zur ​nächsten Tankstelle marschieren, die unter Umständen ​400 Meter weiter den Berg hoch liegt. ​Franzi und Tobi erleben unterschiedliche Phasen, die ​unterschiedliche Tagesabläufe mit sich bringen.

Während ​zu diesen Zeiten das Boot mehr Aufmerksamkeit ​verlangt, könnten sie in jenen Zeiten wandern gehen, ​mal mehrere Tage reisen – und zwischendurch auch ​mal eine Pause einlegen. ​Wie viel Durchhaltevermögen und Dauermotivation ​verlangt so eine Reise? Franzi sagt uns dazu: „Es gab ​relativ am Anfang eine Situation, in der viel schiefgelaufen ​ist. Da dachte ich abends: ‚Jetzt habe ich keinen ​Bock mehr.‘“ Bei dieser Fahrt hat ihnen nicht nur das ​Wetter übel mitgespielt, sie haben auch ihr Beiboot ​verloren – und das schon in den ersten Wochen. ​

Auch das Refitting verlange nach Ausdauer: „Beim Arbeiten ​hatten wir Momente, in denen wir dachten: ‚Wie ​sollen wir jemals fertig werden?‘“ ​Alles in allem gäbe es aber keine ernsthaften Zweifel, ​auch wenn zwischendurch die Nerven mal blank lägen. ​Wer schon mal einige Nächte bei heftigstem Gewitter ​an Bord verbracht hat, dürfte wissen, dass einem da ​schon einmal der A … auf Grundeis geht. „Aber am ​nächsten Tag scheint die Sonne, die Vögel zwitschern, ​die Luft ist rein und man denkt: ‚Hach, ist das schön.‘“, ​relativiert Tobi die Nächte der Angst, die einfach dazugehörten.

​Wegen Corona hat sich ihre Weiterfahrt von Griechenland ​verschoben. Glücklicherweise hätten sie nette ​Leute in der Marina, die immer wiederkommen. Im ​kommenden Jahr soll es aber weitergehen. Sie hätten ​zum Beispiel gute Freunde auf Mallorca, denen sie ​vielleicht einen Besuch abstatten würden. Einvernehmlicher ​Wunsch „aus irgendwelchen Gründen“ sei die ​Reise zu den Kapverden. Was den ganzen Rest angeht: ​„Schauen wir mal.“ ​Franzi ergänzt: „Mit unseren Plänen hat es nie so geklappt, ​wie wir wollten. Deshalb versuchen wir jetzt, ​nicht mehr so viel zu planen. Wir könnten auch bis zur ​Rente auf dem Boot bleiben.“ ■ ​ ​

​ ​ ​ ​ ​ ​ ​

​Info ​

Bootstyp: ​„Ketsch“ – Contest 32 CS, ​gebaut 1978 auf der ​Connyplex Werft in den ​Niederlanden, Zweimast ​Ketsch, 32 Fuß (9,7 Meter) ​lang, 8,5 Tonnen Reisegewicht

Antrieb: Volvo Penta Dieselmotor ​
Tanks: 250l Diesel, 400l Frischwasser
​Ihr könnt auf der Reise dabei sein auf:
​www.youtube.com/c/Wirsegeln ​ (wöchtl. neue ​Videos)
Instagram: @WirSegeln ​ ​