In den Prenzlberger Kleingärten findet ein Generationenwechsel statt. Heute werden Zwiebeln und Kartoffeln nicht mehr angebaut, um die Versorgung der Familie zu sichern, sondern aus Spaß am Gärtnern und dem gewachsenen Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Flora und Fauna. Die gesellschaftspolitische Gewichtung und die Rolle im Umweltschutz, die Kleingärten in Berlin spielen, ist nicht zu unterschätzen. Umso wichtiger ist es, dass die nächste Generation den Grubber erhebt, um das grüne Berlin zu schützen.

Die Gartenzwerge danken ab

Was macht Berlin aus? Fragt man Besucher der Hauptstadt, dann antworten diese häufig, dass es hier für Großstadt-Verhältnisse besonders viel Platz und Grün gibt. Ein wesentlicher Faktor sind dabei die 915 Kleingarten-Anlagen, in denen mehr als 73.000 Kleingärten zu finden sind. Die Schrebergärten nehmen etwa 300 ha ein und bedecken so rund drei Prozent der gesamten Stadtfläche. Damit ist Berlin grüne Spitzenklasse, keine andere Metropole verfügt über eine so große Anzahl an Kleingärten, die das Stadtbild prägen. Während die Gartenzwerg-Kultur viele Jahrzehnte lang verpönt war und als verschrobene Spießergemeinschaft abgetan wurde, haben junge Familie und Menschen mit grünen Daumen die Gartenkultur wieder für sich entdeckt. Das ist auch höchste Zeit, denn die Kleingartenkultur in Berlin ist bedroht.

Grüne Oasen im Kiez

Titus und Heike sitzen an ihrem großen Tisch unter den alten Obstbäumen, die ihrem Kleingarten ein grünes Dach geben. Es summt und brummt an allen Ecken, die Vögel bedienen sich an den Birnen, die noch ungepflückt am Baum hängen. Im Hintergrund saust die Tram M13 über die Böse-Brücke, ein Stück Berliner Mauer blitzt zwischen den Anemonen hindurch. Direkt an der S-Bahn-Trasse liegt die Kleingartenanlage Bornholm I, ihre Geschichte reicht bis in das Jahr 1896 zurück. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden im Zuge der Industrialisierung kleine Armengärten, die den gebeutelten Stadtbewohnern Ruhe und gesunde Nahrung verschaffen sollten. Am Ende des Jahrhunderts wuchs parallel die Schrebergärten-Bewegung, die auch Stadtmenschen das Leben mit und in der Natur sowie eine gesunde Ernährung möglich machen wollte. In Berlin wurden die unzähligen Grünflächen vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wichtig, als Lebensmittel sehr knapp waren. Die Bevölkerung war dankbar über fruchtbaren Boden, der ihnen Kartoffeln, Möhren, Kohl und frisches Obst schenkte. Auch Titus freut sich über alles, was in seinem Garten wächst. Obwohl es ein recht durchwachsenes Gartenjahr ist, finden sich Kartoffeln, Tomaten und Zwiebeln im Beet, Brombeeren, Weintrauben und Kräuter wachsen in den lauschigen Ecken.

Das fünfte Zimmer des Berliners

Im ersten Paragraf des Bundeskleingartengesetzes ist der Zweck eines Kleingartens beschrieben. Er soll zur „nichterwerbsmäßigen gärtnerischen Nutzung, insbesondere zur Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen für den Eigenbedarf, und zur Erholung“ genutzt werden. Über die kleingärtnerische Nutzung scheiden sich die Geister. Die einen rollen mit den Augen, die anderen strahlen dabei über das ganze Gesicht. „Warum soll ich denn teure Zwiebeln stecken, gießen und Unkraut jäten, wenn ich die für ein paar Cent im Supermarkt hinterhergeworfen bekomme“, fragt ein Senior. Er plädiert für eine Überarbeitung des Bundeskleingartengesetztes, heute müsse schließlich niemand mehr wie in der Nachkriegszeit hungern, weshalb es nicht nötig sei, etwa ein Drittel der Pachtfläche zum Anpflanzen von Gemüse, Beeren, Obst und Kräutern zu nutzen. Andere finden genau das reizvoll und finden beim Graben in der Erde ihre Ruhe, die ihnen im großstädtischen Alltag fehlt. Titus und Heike leben in der nahen Schivelbeiner Straße, sie brauchen nur wenige Minuten in ihr „fünftes Zimmer“. Seit sechs Jahren sind sie Laubenpieper, ihre Kinder Annika (9) und Moritz (12) haben einen wesentlichen Teil ihrer Kindheit hier verbracht. Das Leben im Garten erdet, versichert Heike, man ist nahe dran an der Natur, fühlt die Jahreszeiten besser. Sie erzählt davon, wie sie mit ihrem Sohn den Kompost umsetzte und im Inneren eine ganze Mäusefamilie fand. Der heikle Umzug der Mäusefamilie war ein besondere Erlebnis für die Kinder, genauso wie die Zeit ohne Playstation und ohne Smartphone.

Die Verjüngung der Kleingärten

Mit dieser Flucht ins Grüne ist die Prenzlberger Familie nicht allein. Während die ältere Generation die Vorzüge der modernen Lebenswelt genießt, sehnen sich junge Menschen und Familien wieder nach dem Kontakt zur Erde. Zwischen 2003 und 2008 gingen immerhin 45 Prozent der Neuverpachtungen an Familien, seit 2000 sind 64 Prozent der Neupächter unter 55 Jahre alt. Das führt nicht selten zu Reibungen zwischen den Gartenzäunen, denn die Ansichten über das richtige Gärtnern gehen auseinander. Vor allem bei den Jüngeren liegt das „naturnahe Gärtnern“ im Trend: Möglichst keine Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel, Wiese statt Rasen und das Anbauen von einheimischem Gemüse und Obst sowie bienen- und insektenfreundliche Pflanzen sind das Gebot. Dabei ist die Wiese dann manchmal ein bisschen höher und versteckte Ecken mit Unkräutern sind gewollt, weil wichtig für Schmetterlinge, Nützlinge und Igel. Das steht dem Ideal eines gepflegten englischen Rasens, unkrautfreier Beete sowie der Buchsbaumkugel entgegen. Auch bei Titus und Heike regiert die Natur und der wilde Hopfen bahnt sich seinen Weg über den Schuppen.

Kleingartenanlagen als öffentlicher Raum

Neben der Entspannung und der selbstgeernteten Möhre erfüllt die Kleingartenanlage für sie auch einen gesellschaftspolitischen Auftrag. Heike ist Lehrbeauftrage für Editorialgestaltung an der HTW Berlin, Titus ist Illustrator. „Der Kleingarten ist für uns der Ort, an dem wir mit Menschen in Kontakt kommen, auf die wir in unserem Alltag nie treffen würden“, so Titus. Der Elektromonteur, der Heilerziehungspfleger oder Rentner – hier kommen alle zusammen. „Hier treten wir aus unserer Filterblase, in der wir als Medienmenschen oftmals leben und lernen die anderen Sichtweisen kennen.“ Das Gärtnern bringt Menschen aus den verschiedensten sozialen Schichten zusammen, Menschen mit Migrationshintergrund finden hier Anschluss. Allein deshalb liegt es im Interesse der Kleingärtner, die kleingärtnerische Nutzung beizubehalten und sich weiterhin den Status als schützenswertes Gut zu erhalten. So ist die Pacht auch für sozial schwächere Menschen erschwinglich und die Grundstücke werden nicht in teure Freizeitgrundstücke umgewandelt. Mit dem Wert der Kleingartenanlagen als öffentlicher Raum, der allen gehört, die in einer Stadt leben, hat sich Heike mit ihren Studierenden beschäftigt. Sie kreierten das Magazin für Kleingartenkultur „parzelle“, das auch einen Einblick in die Zukunft der Berliner Kleingartenanlagen gibt. Das Jahr 2020 ist eine magische Zahl, denn dann enden die Schutzfristen für elf Prozent der Kleingartenflächen, die dem Land Berlin gehören. Bis auf Friedrichshain-Kreuzberg sind alle Berliner Stadttteile betroffen, es könnte zu einem massiven Einbruch der Kleingartenbestände kommen. Denn: Für die Stadt ist es eine gute Gelegenheit, um auf den freigewordenen Flächen wichtige Wohnfläche zu errichten, aber der Preis ist hoch.

Ernten was man sät

Neben den wichtigen gesellschaftspolitischen Aspekten der Berliner Datschen leisten die vielen grünen Flächen einen wichtigen Beitrag zum Stadtklima. Die Kleingärten sind die grünen Lungen der Stadt und stehen der Verdichtung der Innenstadt entgegen. Sie bieten Nutztieren Rückzugsmöglichkeiten und sind so eine Säule eines funktionierenden Ökosystems. Das Bienensterben ist immer wieder ein medial präsentes Thema – mit der Stärkung des Kleingartenwesens können die Hautflügler unterstützt werden. Heike und Titus glauben nicht daran, dass sie in ihrem Gartenidyll alt werden. Zu viele Investoren haben schon einen Blick auf das strukturell gut angebundene Stück Land geworfen, das mit seiner Lage am Prenzlauer Berg und der nahen S-Bahn perfekt für eine Bebauung geeignet ist. Sie sind desillusioniert und glauben nicht daran, dass Politik und Wirtschaft soviel Weitsicht und ökologisches Verständnis aufbringen, um zu verstehen, dass Kleingartenanlagen eine Investition in die Zukunft sind. Trotzdem sprechen sie sich weiterhin für eine Öffnung der Kleingartenanlagen aus: Alle Bürger sollen etwas von den blühenden Flächen haben und sie zur Naherholung nutzen können. Kleingärtner müssen wiederum verstehen, dass ihr zweites Zuhause langfristig nur sicher ist, wenn sie die Öffentlichkeit teilhaben lassen und sich nicht hinter dichten Hecken verschanzen. Heike und Titus haben Bewohner der nahen Tagespflege einmal zu Kaffee und Kuchen eingeladen, was allen Spaß gemacht hat. Als sie an der Ernte ihrer zwölf Obstbäume zu ersticken drohten, luden sie Bewohner aus der Flüchtlingsunterkunft ein, sich Obst zu pflücken. Ein Bewohner nahm das Angebot an und freute sich über die Abwechslung. „Es gibt ein Überangebot an Nahrung, die so ein Garten abwirft“, so Heike, „warum können daran nicht Hilfebedürftige partizipieren“. In den Berliner Kleingärten steckt viel Potenzial und die junge Generation hat es erkannt. Sie lassen die Kultur der Schrebergärten hochleben, hoffentlich ist es mehr als nur ein Trend, vielleicht ist es eine Wende, die auch in der Politik ankommt.

Wie es so schön heißt: Du wirst ernten, was du säst.