Gesellschaft

Die Rote Schleife – Miss Moneymaker und die Spendendose

Von Hans-Jürgen Schatz

Es begann mit einer überraschenden Einladung der Berliner Aids-Hilfe e.V.. Im Sommer 2019 fragten Jens Petersen und Lars Vestergaard von Laustsen mich, ob ich mir vorstellen könne, anlässlich „Künstler gegen Aids – Die Gala“ im Stage Theater des Westens die traditionelle After-Show-Piano-Lounge im Rangfoyer zu arrangieren. Einem ersten Treffen folgte eine enge Zusammenarbeit. Auch nach der erfolgreichen Gala blieben wir in Kontakt. Wie kommen Jens, Lars und ihre Kolleginnen und Kollegen mit Corona und den Shutdowns zurecht?

Unter der Roten Schleife im Café-Restaurant „Ulrichs“. Hans-Jürgen Schatz, Lars Vestergaard von Laustsen und Jens Petersen (v. l. n. r.). Foto © Lutz Müller-Bohlen

Vor fünf Jahren konnte die Berliner Aids-Hilfe e.V. im Tipi am Kanzleramt ihr 30-jähriges Bestehen feiern und dabei nicht nur reichlich Prominenz aus dem Showgeschäft begrüßen, sondern auch drei Regierende Bürgermeister von Berlin und eine First Lady, denen die Aids-Hilfe immer ein Anliegen war, ist und bleibt: Walter Momper und seine Frau Anne, Klaus Wowereit und Michael Müller. Der diesjährige 35. Jahrestag dieser für Berlin so wichtigen Organisation konnte wegen Ihr-wisst-schon-wer ebenso wenig gefeiert werden, wie die 20. Aids-Gala an der Kantstraße.

Der Welt-Aids-Tag am 1. Dezember muss genügen, um an das weltumspannende Thema zu erinnern – und hat dabei durch die Corona-Pandemie starke Konkurrenz in den Medien. Vergleichen zwischen HIV/Aids und COVID- 19 steht Lars Vestergaard von Laustsen als Krankenhausreferent und Kuratoriumskoordinator kritisch gegenüber: „Es gibt da einen Kardinalfehler. Man spricht bei Corona von Risikogruppen. Wie damals, als es bei HIV/Aids hieß, das bekämen nur schwule und bisexuelle Männer, Drogenabhängige und Afrikaner. Jetzt hat man das bei COVID-19 wiederholt und gesagt, das sei nur für ältere Menschen gefährlich. Aber diese Krankheit macht keinen Unterschied zwischen jung und alt, arm und reich. Es liegen sehr viele junge Leute auf den Intensivstationen. Und ein Impfstoff? Man hat jetzt 38 Jahre nach einem gegen HIV gesucht und nicht gefunden. Vielleicht gibt es für Corona irgendwann ein antivirales Medikament.“

Das Ensemble der After-Show-Piano-Lounge 2019: (v. l. n. r.) Hans-Jürgen Schatz, Ulrich Michael Heissig, Zazie de Paris, Angelika Mann, Felix Martin, Antje Rietz, Atrin Madani, Anthony Curtis Kirby, Anke Fiedler, Cindy Berger, Bert Beel und Stefanie Simon. Foto © Brigitte Dummer

Engagement und Finanzierung: wie die Berliner Aids-Hilfe aufgebaut ist
Die Berliner Aids-Hilfe beschäftigt hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Obgleich öffentlich teilfinanziert, ist sie regelmäßig auf Spenden angewiesen, um die umfangreichen Aufgaben überhaupt bewältigen zu können. Jens Petersen, für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising zuständig, blickt zurück: „Wir hatten schwierige Zeiten, bekamen wenig Finanzierung aus öffentlicher Hand und mussten ganz viel über Spenden finanzieren. Das hatte zur Folge, dass manche Projekte ständig auf der Kippe standen. Jetzt sind wir mit dem Betrieb der Beratungsstelle in der Regelfinanzierung, d. h. die Räumlichkeiten und alles, was mit Beratung zu tun hat, übernimmt das Land Berlin. Was wir ehrenamtlich machen – Besuchsdienste, Begleitdienste, Gesprächsgruppen –, wird durch Spenden ermöglicht. Auch unsere Reisen, wie Erholungsreisen für Frauen, für Kinder und Mütter. Da brauchen wir weiterhin Unterstützung.“

Genau wie für das Café-Restaurant „Ulrichs“ im Haus der Aids-Hilfe, das auch ein Begegnungsangebot für Menschen ist, die zu Hause alleine sind. Sie können sich hier mit anderen Menschen treffen oder im „Ulrichs“ engagieren, indem sie dort kochen und ihre Zeit, ihre Kenntnisse, ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen. Wann man unter der Roten Schleife an der Decke wieder Kaffee trinken, Mittag essen und quatschen kann, hängt von Corona ab.

Woher kommen die rund 500.000 Euro an Spenden, die jährlich benötigt werden? Die Berliner Aids-Hilfe hat einen Jahreshaushalt von 1,75 Mio. Euro, rund 70 Prozent davon übernimmt das Land Berlin. Unterstützung kommt u. a. von „Aktion Mensch“, der Deutschen AIDS-Stiftung und privaten Spendern, die regelmäßig mit namhaften Summen dabei sind und sich wunderbarerweise gerade in dieser schwierigen Zeit als konstant großzügig erweisen.

Ute Hiller, Geschäftsführerin der Berliner Aids-Hilfe e.V.. Foto © Lutz Müller-Bohlen

„Feiern für den guten Zweck“ – ohne die Gala fehlen Spenden
Die halbe Million wird in 2020 jedoch nicht zusammenkommen. Selbst wenn das Stage Theater des Westens nach dem ersten Shutdown nicht vorläufig geschlossen geblieben wäre, wodurch „Künstler gegen Aids“ heimatlos war, hätte die Spendengala im November nicht stattgefunden. Niemand sollte gesundheitlich gefährdet werden. Das Theater hätte nur zum Teil besetzt werden dürfen. Eine After-Show-Party im Foyer mit Büfett und Tanz wäre unmöglich gewesen. „Feiern für den guten Zweck“ heißt es an diesem besonderen, prominent besetzten Galaabend. Das Leben feiern und dabei der Kranken und Verstorbenen gedenken. Mit einem unterhaltsamen Abend Freude machen und dadurch Spenden sammeln. Die Gesamteinnahme der Gala lag jeweils weit über der 90.000er-Marke. Dazu kam jährlich ein Scheck über 100.000 Dollar aus dem MAC Aids-Fund der Make-up-Marke MAC, und das Ensemble der aktuellen Musicalproduktion im Haus hat jedes Jahr nach den Vorstellungen bis zu 24.000 Euro gesammelt, ganz in der Tradition der Kollegen vom New Yorker Broadway. „Kein Zufall, dass sich so viele Künstler daran beteiligen, denn die Showbranche war von Anfang an mit am stärksten von HIV und Aids betroffen“, erzählt Lars.

Es waren die Intendanten Helmut Baumann (Theater des Westens) und Götz Friedrich (Deutsche Oper Berlin), die die Idee der amerikanischen Kollegen aufgriffen, nach der Vorstellung am Ausgang der Theater Geld zu sammeln. Meine Kollegin Judy Winter flitzte dazu nach jeder „Marlene“-Vorstellung in Kostüm und Maske ins Foyer des Renaissance-Theaters, um eigenhändig um Spenden zu bitten und als Dankeschön die Rote Schleife zu verschenken. Gemeinsam mit Klaus Wowereit übernimmt sie alljährlich die Schirmherrschaft für die Gala.

Einladung des Hotels am Steinplatz zum Sponsorendinner 2019: Ute Hiller, Hans-Jürgen Schatz, Judy Winter und Klaus Wowereit (v. l. n. r.). Foto © Brigitte Dummer

Zahlreiche Showkollegen wie Irmgard Knef, Felix Martin, Katharine Mehrling, die Geschwister Pfister und Gayle Tufts bitten nach ihren gefeierten Programmen um Spenden für die Berliner Aids-Hilfe, die am Ausgang von Ehrenamtlichen, liebevoll „Moneymaker“ genannt, mit der Spendendose entgegengenommen werden. Zum Dank gibt‘s die Rote Schleife (englisch: Red Ribbon). Sie ist weltweit das Symbol der Solidarität mit HIV-Positiven und an Aids Erkrankten. Der Awareness Ribbon wurde 1991 von der New Yorker Künstlergruppe Visual AIDS geschaffen. Elizabeth Taylor, Lady Diana u. v. a. zeigten und zeigen sich damit in der Öffentlichkeit.

Mit den Spenden können zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten der Berliner Aids-Hilfe finanziert werden. Dazu gehören z. B. die Besuchsdienste im Krankenhaus, die Telefonberatung (Hotline von 12 – 22 Uhr), das Team Öffentlichkeitsarbeit (beim CSD und anderen Festen unterwegs) und die emotionalen Begleiter im Alltag. Aktuell gibt es ein Corona-Community-Care-Project, in dessen Rahmen die Ehrenamtlichen für durch COVID-19 besonders gefährdete Menschen einkaufen, sie einmal pro Woche besuchen und bei der Ablieferung des Einkaufs über die Türschwelle wenigstens ein paar Worte mit ihnen wechseln oder einen kurzen Spaziergang um den Block machen. „Man kann sich gar nicht vorstellen, dass es solche Einsamkeit nach wie vor im HIV/Aids-Bereich gibt. Darunter auch viele junge Leute“, weiß Lars.

Jens Petersen, Berliner Aids-Hilfe e.V.. Foto © Lutz Müller-Bohlen

Wie wichtig ist der Welt-Aids-Tag am 1. Dezember, frage ich Jens. „Er hat eine enorme Bedeutung, weil er den Fokus auf HIV/Aids lenkt. Das ist eine Viruserkrankung, die sich ohne Aufklärung, ohne Schutzmaßnahme, ohne Behandlung weltweit ausbreiten kann und deshalb brauchen wir mindestens diesen einen Tag im Jahr, um daran zu erinnern.

HIV-positive Menschen haben täglich einen Welt-Aids-Tag. Ihre Probleme reichen von der körperlichen Befindlichkeit bis zu Diskriminierung und Stigmatisierung. Warum erleben sie das? Weil die Menschen im Allgemeinen bei diesem Thema ein Informationsdefizit hinsichtlich der Behandelbarkeit dieser Krankheit haben. Das führt rasch zu Ausgrenzung.“ Durch den Tod des Hollywood-Stars Rock Hudson oder des Pop-Stars Freddie Mercury rückte Aids immer wieder mal in den Vordergrund. Dann schien es wieder kein Thema mehr zu sein. „Es hat sich in der Community herumgesprochen, dass es mittlerweile nicht nur Medikamente zur Behandlung von HIV gibt, sondern auch solche, die vor HIV schützen“, erklärt Jens, „Dadurch haben wir auch rückläufige Zahlen bei Neuinfektionen. Aber junge Leute haben nicht erlebt, was Ältere erlebt und gehört haben. Und da setzt unsere Arbeit mit dem Jugendpräventionsprojekt an. Wir müssen jede Generation neu aufklären. Da helfen die neuen Medien, wo man Botschaften platzieren kann.“

Grundsätzlich wird bei einem unsicheren Gefühl nach einem sexuellen Kontakt ein HIV-Test empfohlen. Den kann man bei der Aids-Hilfe machen, er ist „grundsätzlich für jeden möglich“, wie auch Tests auf andere sexuell übertragbare Krankheiten. Man kann dabei anonym bleiben. Das Ergebnis eines Schnelltests liegt nach 45 Minuten vor, bei einem Labortest mit Blutabnahme dauert es drei bis vier Tage.

Hans-Jürgen Schatz, Jens Petersen und Lars Vestergaard von Laustsen (v. l. n. r.). Foto © Lutz Müller-Bohlen

Die Ehrenamtlichen der Aids-Hilfe sind keine Helfer, sondern in einen Plan eingetaktete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Jede/-r über 18 kann mitmachen – bei der Öffentlichkeitsarbeit oder Telefonberatung, als Moneymaker oder emotionaler Begleiter. Man wird dazu ausgebildet und trainiert. Zuverlässigkeit ist Voraussetzung. Lars wünscht sich unter den ehrenamtlichen Mitarbeitern „ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Alle Nationalitäten, alle Sprachen. Ohne die Ehrenamtlichen geht es nicht“. Und die werden bei der alljährlichen Gala mit viel Applaus aus dem Publikum bedacht.

In diesem Jahr ist vieles anders für die Berliner Aids- Hilfe. Die Einnahmen von „Künstler gegen Aids – Die Gala“ fehlen und wenn Theater wie die Bar jeder Vernunft oder das Tipi nicht spielen dürfen, dann füllen sich auch die Spendendosen nicht. Viele persönliche soziale Kontakte zu Kranken mussten unterbrochen werden, die Besuchsdienste im Krankenhaus können nur ersatzweise über Videoanrufe geleistet werden. Die auf Anne Mompers Initiative hin gegründete Schwimmgruppe darf sich nicht treffen, andere Treffen der Aids-Hilfe zum Kegeln, Bowling oder Töpfern müssen ausfallen. Stellvertretend für alle bei der Berliner Aids-Hilfe e.V. hoffen Geschäftsführerin Ute Hiller, Jens Petersen und Lars Vestergaard von Laustsen auf die Gala 2021, danken Mein/4 ausdrücklich für die Unterstützung und betonen: „Jeder Cent hilft.“

 

Info

Die Berliner Aids-Hilfe e.V. wurde 1985 gegründet. Sie beschäftigt haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Einmal im Jahr veranstaltet sie mit großem Erfolg „Künstler gegen Aids – Die Gala“.

Berliner Aids-Hilfe e.V.
Kurfürstenstraße 130
10785 Berlin
Tel.: 030–88 56 40–0
www.berlin-aidshilfe.de

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