Bärbel Stolz Kolumne

Bärbels ungebetener Ratschlag

Rote Lippen

Ja Leute, ich weiß es doch auch nicht. Es wäre hübsch, an dieser Stelle mal selber einen Rat zu kriegen. Einen ausdrücklich erbetenen Ratschlag. Aber was Brauchbares, bitte! „Entspann dich doch einfach mal“, nee, da werden wir keine Freunde. Damit bewirkst du genau das Gegenteil, und das weißt du auch ganz genau. Stimmt‘s?

Halt dei Gosch und sing

Eine Kolumne von Bärbel Stolz

Ich meditiere seit einigen Wochen. Damit bin ich wieder mal mega mainstream, weil das ja praktisch jeder in meiner Bubble macht, gemacht hat oder sonst wie Bescheid weiß. Ist okay. Wir suchen alle nach Halt, Spiritualität (außerhalb pädophiler Vereine) und wohltuender Auflösung des eigenen Egos. Sollte vermutlich jeder machen, das wäre für die gesamte Menschheit ganz fein. Die katholische Kirche ist dafür ganz klar nicht mehr die erste Adresse; wenn ich da mal einen Rat loswerden soll: einfach zumachen den Laden und das ganze Geld spenden an sinnvolle Projekte oder Organisationen, in denen keine Kinder missbraucht werden.

Weil – so sozial unelastisch ich pandemiegeschädigt durch die Gegend streune und abwechselnd jeden ablecken oder ohrfeigen möchte – so klar wird mir, während ich ins endlose Nichts zu driften versuche, dass wir alle eins sind. Aber das wisst ihr eh auch. Ich kann euch gerade nichts Gutes raten, ausnahmsweise weiß ich es halt gerade auch nicht besser. Meine Bescheidenheit kotzt mich selber an, ist aber eben momentan so.

Dann halt ich halt den Mund. Und höre zu. Das kann auch eine erstaunliche Erfahrung sein. Gerade saß ich schweigend in der Sonne, da kam ein Kollege zu mir. Er erzählte mir von einem Problem, und während ich zuhörte, fing er plötzlich an zu strahlen und sagte: „Ach, jetzt weiß ich die Lösung. Grad, wie ich dir davon erzähle. Gut! Danke.“

Ich, immer noch maulfaul: „Bitte. Auch mal schön, nur durch Zuhören geholfen zu haben.“

Da wurde er philosophisch.

„Ja, es geht doch eigentlich ums Zuhören. Damit hilft man eigentlich immer am meisten. Ich als Mann musste das erst lernen, weil Männer immer so zuhören, dass sie währenddessen nach Lösungsvorschlägen suchen – und dann kriegt man gesagt: Du hörst mir gar nicht richtig zu.“

Tja. Vielleicht sollten wir nicht mehr sagen: „Ich brauche jemanden zum Reden“, sondern „Ich brauche jemanden zum Zuhören.“

Ja toll. Zuhören. Das kann ja im Kleinen sehr schön funktionieren, aber in der Politik kann es auch ganz schön aufhalten, wenn man ständig allen zuhört. Wir leben in einer Konsensgesellschaft, alle sollen einverstanden sein und müssen gehört werden. Wer am lautesten krakeelt, gewinnt dabei. Es ist leichter destruktiv als konstruktiv zu sein, und wer leise nachdenkt, hat schon verloren.

Neulich hab ich geträumt, ich träfe einen Bekannten wieder. Den hab ich lange nicht live gesehen oder gesprochen, nur in den sozialen Medien gelesen. Dabei war offensichtlich, dass wir wohl in vielen Dingen immer unterschiedlicherer Meinung sind. In meinem Traum hatte er ein Lied komponiert und alle hörten zu. Alle waren in diesem Traum irgendwie tatsächlich ALLE, die ganze Welt. Wir hörten zu – aber irgendwas stimmte nicht. „Ich verstehe das Stück nicht“, sagte ich. „Ja klar, da fehlt noch eine Stimme – die müsst ihr singen.“ Also sangen wir alle. Der Text war A-F-R-I-K-A. Jeder Buchstabe war eine Note. Im Traum hinterfragt man ja nichts – Afrika als Liedtext leuchtet mir sowieso ein, seitdem ich schon als Jugendliche bei Grönemeiers

Bochum immer „Aafrikaaa“ statt „Ah, Glück auf“ verstanden und gesungen habe. Jedenfalls erschloss sich durch unseren kollektiven Gesang das gesamte Musikstück, und ich war total glücklich und gerührt. So bin ich aufgewacht. Verbunden mit dem Universum und allen anderen Menschen, wie manchmal beim Meditieren. Ich habe ein uraltes Gedicht von mir hervorgekramt:

Wie wenn das Glück nichts wäre als ein Ton –

der Anfang einer ewig wahren Melodie.

Und könnt ich nur ihm lauschen, wenn die ganze Welt,

indem sie regungslos den Atem hält,

dieselbe ungenannte Saite rührt und sie

nicht lässt eh Erde, Herz und Himmel voll davon?

Und ich dachte: Naja, wir sind eben alle eins. Schlau, gell? Ja, danke für nix, ich weiß.

Trotzdem. Ich mach das jetzt. Nur zuhören. Oder mindestens jeden dritten ungebetenen Ratschlag einfach überschlafen. Früher hab ich Freundinnen gebeten, mir spätnachts das Handy wegzunehmen. Damit ich nicht all die Textnachrichten schreibe, die mir in dem Moment wie eine sehr gute Idee vorkamen. Jetzt würd ich gern allen das Handy wegnehmen, ehe sie twittern. Einmal drüber schlafen, bitte.

Einfach zuhören. Und zwar alle. Dann halten alle gemeinsam die Klappe.

Oder ein hervorragender schwäbischer Ratschlag meines Vaters, der selten viel gesagt hat: Halt dei Gosch und sing!

Info

Ihr wollt ebenfalls die Ukraine unterstützen? Unter dem folgenden Link oder QR-Code könnt ihr an die Ukraine-Hilfe Berlin e. V. spenden:

www.ukraine-hilfe-berlin.de/