Eine Kolumne von Wladimir Kaminer

Die Menschen sind leichtgläubig, sie denken, überall ist es besser, wo wir nicht sind. Sie schauen sich gerne Dokus über das Leben in fernen Ländern an, wo die Menschen angeblich das ganze Jahr über Karneval feiern, singen, tanzen und Zigarren drehen; sie haben sonst nichts zu tun.

Zu Hause trampeln einem die Nachbarskinder auf dem Kopf rum, trockene Geranien nicken auf dem Balkon, die Sonne kommt für zehn Minuten am Tag raus und geht wieder. Daraus entsteht diese verfluchte Reiselust, die uns aus dem Haus und ins Ungewisse treibt. Jahr für Jahr verlassen Millionen Deutsche ihre Heimat und fahren weit weg in den Urlaub, dorthin, wo Palmen wachsen, Menschen sich in farbenfroher Unterwäsche im Sand wälzen und ganze Horden zu lauter Musik rhythmisch mit dem Po wackeln.

Dabei entgeht ihnen die schlichte Wahrheit, dass Deutschland ein Traumurlaubsland ist. In jeder Region, an jeder Ecke sind hier Sehenswürdigkeiten, Landschaften und Attraktionen für Groß und Klein in einer solchen Vielfalt vorhanden, die kein Palmenland zu bieten hat, die aber von vielen vorschnell auf Spreewaldgurken und Schloss Neuschwanstein reduziert werden.

Selbst bei uns im schlichten Brandenburg kann jeder Tourist glücklich werden. Fahrt doch einmal an der Oder entlang, ans Oderhaff, in Richtung Schwedt. Alle Kinder der DDR kamen einmal durchs Oderluch, Und wer einmal durchs Oderluch kam, der lächelt nicht in der Karibik. Ihr werdet es euer Leben lang nicht vergessen. Man kann von dort aus nach Polen rüberfahren, aber da wollen wir nicht hin, das ist ja Ausland. Wir fahren lieber nach Cottbus zum Fürst-Pückler-Park, dem schönsten Park der europäischen Aufklärung, wo Natur und Kultur einander grüßen, von dort nach Görlitz und Weißwasser, zur Glaspyramide, wo man, einmal reingegangen, nie wieder herausfindet, dann nach Senftenberg zur Skihalle, wo man das ganze Jahr über Ski fahren kann und keiner guckt zu – besonders gut für Menschen geeignet, die sehr lange nicht oder überhaupt noch nie Ski gefahren sind.

Und wenn es einem auf Dauer dort zu kalt wird, eine halbe Stunde Fahrt durch den Spreewald, wo die Riesengurken wachsen, und ihr seid schon in den Tropen.  Wer in Tropical Island einmal Pommes mit Majo gegessen hat, der wird nie nach Brasilien fliegen. Hier, auf dem ehemaligen sowjetischen Flugplatz, ist mit Schweiß und harter Arbeit ein Paradies entstanden, wie ein Garten Eden, nur besser: Palmen, Sand und warmes Wasser, dazu eine typisch tropische Küche: Würstchen, Pizza, Pasta mit Tomatensauce, und alle Mitarbeiter sprechen gut Deutsch.

Früher gab es manchmal Beschwerden, weil man hier im Winter kalte Füße bekam, denn nach den Gesetzen der Physik steigt warme Luft dummerweise schnell nach oben. Aber dank moderner Technik haben die Betreiber dieses Problem inzwischen gelöst. Es zieht nicht einmal in den deutschen Tropen, die Temperatur ist stabil, das Wetter ist immer gut, das Wasser angenehm und die Sauna gleich nebenan. Und ganz oben, wenn man durch die Kuppel schaut, sieht man die berühmten Brandenburger Wolken: kleine und große, sorgfältig wie von menschlicher Hand aus schneeweißem Papier ausgeschnitten und auf den Himmel geklebt, sie werden im Volksmund liebevoll „Hase“ und „Wolf“ genannt. ■

 

Wladimir Kaminer
Privat ein Russe, beruflich ein deutscher Schriftsteller, ist er die meiste Zeit unterwegs mit Lesungen und Vorträgen. Er lebt seit 1990 in Prenzlauer Berg.
www.wladimirkaminer.de