Kolumne Wladimir Kaminer

Vom Kosmos geküsst

Wladimir Kaminer

Am Anfang war Tom Cruise. Er wollte den ersten Film im Weltall drehen, zu diesem Zweck kam er mit seinem Filmteam nach Russland und nahm Kontakt mit dem Direktor von Roskosmos auf, der Weltraumorganisation der russischen Föderation. Er ist in Russland ein gern gesehener Gast. Putin mag ihn, wie er kleine schlaue Männer mag, die angstfrei agieren.

Eine Kolumne von Wladimir Kaminer

Der Schauspieler suchte eine passende Rakete für seinen Actionfilm, die ihn und sein Filmteam samt Ausrüstung weit genug ins Weltall schießen könnte. Der adrenalinsüchtige Cruise ist dafür bekannt, dass er seine Actions ohne Stuntman dreht, wie eine Eidechse auf Felsen klettert, nur mit einem dünnen Seil abgesichert vom Dach des höchsten Hauses der Welt springt, und brennende Autos zu Schrott fährt. Der Mann kann angeblich 6 Minuten lang unter Wasser die Luft anhalten und rückwärts schwimmen. Er hat auch schon in der Schwerelosigkeit eines vom Himmel fallenden Flugzeugs eine Kampfszene gedreht. Angeblich musste die Szene 23-mal wiederholt werden. Welche Heldentaten hat er für seinen ersten Weltraumfilm geplant? Wollte er ohne Astronautenanzug auf der Kapsel herumschrauben, mit Meteoriten Fußball spielen, Außerirdische k. o. schlagen? Die Möglichkeiten für Actionszenen sind auf einer Raumstation ziemlich begrenzt. Da kann man nicht allzu toll herumspringen. Aus dem Projekt wurde sowieso nichts, Cruise machte einen Rückzieher ohne Angabe von Gründen. Man munkelte, die amerikanische Administration habe dem Schauspieler verboten, mit einer russischen Rakete zu fliegen, das sei eine unpatriotische Kooperation und würde ein falsches Signal in die Welt setzen, so als wären die russischen Raketen den amerikanischen überlegen. Er solle mit einer heimischen Dragon fliegen oder noch besser sein Weltraumabenteuer auf der Erde in einem Hollywood-Studio nachstellen. Die Russen waren maßlos enttäuscht. Der Direktor von Roskosmos sagte, wenn die Amerikaner so feige sind, dann drehen wir unseren eigenen Film, keinen stumpfen Actionfilm, sondern eine Liebesgeschichte, denn der Kosmos soll kein Schlachtfeld, sondern ein Ort der Liebe sein. Der Plot des Films (Arbeitstitel: Die Herausforderung) darf nicht erzählt werden, ich spekuliere: Einem alten russischen Kosmonauten ist auf der Raumstation schlecht geworden, er hat was am Herzen, sendet einen Notruf und flugs kommt eine junge Ärztin zu ihm hoch, die ihn am offenen Herzen im All operiert. Kaum kommt er wieder zu sich, fangen die beiden an, einander zu mögen. Inzwischen sind die Szenen im Weltraum abgedreht, der Regisseur und die Schauspieler samt fünf Kameras wurden erfolgreich ins Weltall transportiert und sind zurückgekehrt, drei Kameras sind abgebrannt, zwei geblieben, die Darsteller landeten gesund und munter auf der Erde.

Die Schauspielerin, eine äußerst attraktive und begabte junge Frau, gab gleich nach der Landung, bereits gut geschminkt, Interviews – darüber, wie anstrengend und herausfordernd die Dreharbeiten waren. Am schlimmsten fand sie, dass man in der Schwerelosigkeit die wichtigsten Sachen nicht bei sich behalten kann, Lippenstift, Tusche, die ganze Kosmetik flog ihr ständig aus der Hand. Sie musste die notwendigsten Sachen mit einem Klebeband befestigen und hinter sich schleifen lassen. Sie klebte die Sachen immer wieder mal an einer und mal an einer anderen Ecke in der Kabine an und vergaß schließlich ihre gesamte Kosmetiktasche im Weltall. Ich hoffe sehr, sagte die Schauspielerin, dass wir bald den zweiten Teil drehen, ich vermisse meine Kosmetiktasche sehr.

Natürlich ist der Film schon jetzt der teuerste aller Zeiten. Wenn man den russischen Klatschblättern glauben darf, ist die Schauspielerin die neue Freundin von Roman Abramowitsch, dem russischen Milliardär und Besitzer des Fußballvereins Chelsea. Er habe sich an den Raketenflugkosten beteiligt, behaupten die Klatschblätter. Die Dreharbeiten wurden zur Hauptnachricht des Monats, das Land ist stolz wie Bolle, Tom Cruise raucht nervös in einer Ecke.

Dabei geht es Russland nicht gut, eine neue Coronawelle rafft die Menschen zu Tausenden dahin, die Verarmung der Bevölkerung steigt im siebten Jahr infolge trotz steigender Öl- und Gaspreise auf dem Weltmarkt, die Beziehungen zum Ausland sind auf einem Tiefpunkt seit der Veröffentlichung der Paradise Papers und trotzdem reden alle über den Film und sind stolz, wieder die Ersten zu sein, die Ersten bei Dreharbeiten im Weltall.

Es war schon immer wichtiger für meine Landsleute, etwas im Weltall zu erreichen als auf Erden. Auf der Erde kann jeder, sagen sie, versuche es im Kosmos. Wir, ehemalige Sowjetmenschen, sind alle vom Kosmos geküsst. In der Romantik des Kapitalismus ging es darum, als Tellerwäscher anzufangen, um irgendwann Millionär zu werden, wenn alle Teller sauber sind. Wir träumten vom Universum. Überall wollten sich die Menschen auf ihre kosmische Tauglichkeit testen lassen. In meiner Kindheit träumten die Mädchen, Ballett zu tanzen, die Jungs wollten Kosmonauten werden. In jedem Pionierschloss gab es einen Trupp der jungen Kosmonauten, es war nicht leicht, dort Mitglied zu werden. Man musste ein Vorgespräch mit einem bereits geflogenen oder getesteten Kosmonauten bestehen. Die Kosmonauten waren die Promis des Sozialismus, in Konzerten, Fernsehshows und bei Parteitagen saßen sie in den ersten Reihen, sie hatten ihre eigene Kosmonauten-Stadt, Sternstädtchen genannt, in der Nähe von Moskau, wo nur Kosmonauten und ihre Familien lebten. Für Normalsterbliche war es unmöglich, dort reinzukommen. Natürlich sind sie nicht alle ins Weltall geflogen, aber sie waren jederzeit bereit, die Erde zu verlassen.

Meine Eltern hatten in der Nähe des Sternstädtchens eine Datscha gemietet, wir Jungs sind oft über die Mauer geklettert, um dort im Laden die besseren Zigaretten (der Marke Kosmos) zu kaufen und mit den Kosmonauten in Kontakt zu kommen. Ich habe als Kind mit mehreren gesprochen, auch mit geflogenen.

Ein geflogener Kosmonaut erzählte uns einmal, im Weltall sei es gar nicht so spannend. Am Anfang sei es hübsch, die kleinen runden Planeten, die man im Bullauge sieht, drehen sich langsam um die eigene Achse und um die Sonne herum. Doch auf Dauer könne es ziemlich öde werden. Der Weltraum, erklärte uns der alte Kosmonaut, sei ein wenig wie Sibirien. Einmal durchreisen ist okay, dauerhaft dort zu bleiben, nein danke. Man weiß nun nicht genau, ob auch eine Liebesszene zwischen dem Kosmonauten und der Ärztin gedreht wurde. Angeblich seien die Liebesszenen im Weltall besonders schwierig. Bereits im vorigen Jahrhundert haben die Russen eine umfangreiche Forschung darüber betrieben, ob Sex in der Schwerelosigkeit möglich ist. Zu diesem Zweck wurden Paare ins All geschickt. Die Ergebnisse dieser Experimente waren so lala. Wenn sich zwei Menschen in der Schwerelosigkeit heftig aneinanderdrücken, flogen sie schon im nächsten Moment genau so heftig auseinander. Also müssen sie sich aneinander festschnallen. Es fließt nichts in der Schwerelosigkeit und es fällt nichts herunter. Das heißt, wenn einer der Liebenden vor Aufregung niest, wird das Ausgenieste neben ihm in der Luft hängen. Außerdem funktioniert die Durchblutung des Körpers im All anders. Das Blut steigt nach oben, zum Kopf, was gut fürs Küssen ist. Um eine Erektion zu bekommen, muss der Kosmonaut aber einen Kopfstand machen. Die sowjetischen Kosmonauten haben sich als erstaunlich anpassungsfähig erwiesen, auch Jahre später noch, längst wieder auf der Erde gelandet, konnten sie ihre Frauen zu Hause nur auf dem Kopf stehend umarmen, so sehr hatten sie sich an das Leben im Weltraum gewöhnt, erzählte uns der alte Kosmonaut. Ob Tom Cruise das auch kann?

Wladimir Kaminer

Wladimir Kaminer

Privat ein Russe, beruflich ein deutscher Schriftsteller, ist er hoffentlich bald wieder die meiste Zeit unterwegs mit Lesungen und Vorträgen.
Er lebt seit 1990 in Prenzlauer Berg.

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