Kolumne Wladimir Kaminer

Zwischen Krieg und Frieden

Eine Kolumne von Wladimir Kaminer

Die Baumärkte sind mit Pflanzen und Blumen voll, mein Nachbar düngt die Gurken, die Gartensaison hat begonnen, der Krieg in der Ukraine nicht aufgehört. Als Gartenschriftsteller bekomme ich täglich Interviewanfragen. Seit Corona liegt das Gärtnern voll im Trend, Gartenmessen und Kongresse laden mich ein, Gartenzeitschriften verschicken Fragebögen: „Was pflanzen Sie als erstes dieses Jahr?“ „Schicken Sie uns bitte ein Foto, wie Sie die Blumen gießen.“ Als Russenerklärer bekomme ich ebenfalls Interviewanfragen. „Soll die Bundesregierung schwere Waffen an die Ukraine liefern, wird der Krieg dadurch eskalieren?“ Diese gleichzeitig kommenden Fragen machen mich nervös: Blumen gießen oder Waffen liefern? Und wenn nicht gleichzeitig, dann in welcher Reihenfolge? Haben wir Frieden oder sind wir im Krieg? Oder irgendwo dazwischen?
Wir alle wollen, dass dieser Krieg aufhört und weitere verhindert werden. Darin sind wir uns einig. Nur, was ist der schnellste Weg, einen Krieg zu beenden? Die Antwort liegt auf der Hand: Es ist eine militärische Niederlage mit abschließender Kapitulation. Irgendjemand muss kapitulieren, am besten der Angreifer.
Einige deutsche Philosophen, Liedermacher und die Herausgeberin von Emma würden sofort mit Freude kapitulieren, sie sind aber nicht der Teil dieses Konfliktes. Sie versuchen deswegen ihre Regierung zu überreden, keine Waffen an die Ukraine zu liefern, dann könnten die Ukrainer nicht mehr kämpfen, würden von den Russen „entnazifiziert“ oder, auf gut Deutsch, platt gemacht und Ruhe kehre wieder in die europäischen Gärten ein.
Die Ukrainer wollen nicht nachgeben, zum Entsetzen der deutschen Intellektuellen und trotz Prognosen vieler Militärexperten kämpfen sie um ihr Leben, um ihre Städte und die Zukunft ihrer Kinder und würden es auch ohne Waffen tun.
Das russische Regime darf nicht nachgeben, eine Niederlage würde das Ende von Putins Ära bedeuten.
Alle Appelle an seine Vernunft haben nichts genutzt, Macron hat schon Unsummen für Ferngespräche mit dem Kreml ausgegeben, auch die Schreckensbilder des Krieges, getötete russische Soldaten, abgeschossene Flugzeuge, Merz in Kiew, haben im Kreml nicht beeindruckt. Bald aber liefert Deutschland seine sieben Panzer, die TÜV-Checkliste ist noch nicht ganz durch, angeblich ist bei diesen Fahrzeugen eine Schraube locker, doch allein ihr Erscheinen auf dem ukrainischen Staatsgebiet wird dem Angreifer den Wind aus dem Segel nehmen. Putin kündigt dann die Mobilisierung an, das russische Volk erwacht endlich aus seinem verlängerten Winterschlaf, schaut in den Spiegel und erschreckt sich. Bis dahin schaukeln wir weiter im Garten zwischen Frieden und Krieg.

Wladimir Kaminer

Privat ein Russe, beruflich ein deutscher Schriftsteller, ist er hoffentlich bald wieder die meiste Zeit unterwegs mit Lesungen und Vorträgen.
Er lebt seit 1990 in Prenzlauer Berg.

Sein neuestes Buch:
Die Wellenreiter: Geschichten aus dem neuen Deutschland

Goldmann Verlag
155 Seiten, August 2021