Folge 3

Rund ums Schloss Charlottenburg

Das Schloss Charlottenburg ist eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Berlins und zugleich das Wahrzeichen und historische Aushängeschild des Großbezirks Charlottenburg-Wilmersdorf. Doch damit nicht genug: Im Umkreis von weniger als einem Kilometer rund um das Schloss finden sich ein Dutzend weitere interessante Orte, die kulturelle Zeitreisen von der Antike bis in die jüngere Vergangenheit möglich machen.

Schloss Charlottenburg

Vor 320 Jahren ließ die brandenburg-preußische Kurfürstin Sophie Charlotte in dem acht Kilometer vom Stadtschloss entfernten Dorf Lietze eine kleine Som-merresidenz errichten, die als Schloss Lietzenburg eingeweiht „Charlottes Musenhof“ wurde, der ab 1701, nach der Krönung ihres Gemahls zum ersten König in Preußen, eine unwesentliche Erweiterung erfuhr.

Seine heutige Gestalt mit der markanten Kuppel und den langgestreckten Flügeln erhielt das Schloss erst nach dem frühen Tod der kunstsinnigen Königin, die 1705 im Alter von nur 36 Jahren starb. Ihr zu Ehren erhielten das Schloss und die Ortschaft den Namen Charlottenburg. Bis zum Dreikaiserjahr 1888 diente das Rokokoschloss als royale Residenz, von da an war die Anlage öffentlich zugänglich.

1943 wurde das Gebäude durch einen alliierten Luftangriff schwer beschädigt. Nicht zuletzt angesichts der geplanten und schlussendlich vollzogenen Sprengung des Stadtschlosses im Ostteil der Stadt entschied man sich Ende der 1940er-Jahre für eine Rekonstruktion nach historischem Vorbild.

Heute bietet das Schloss Charlottenburg in einer Dauerausstellung und in originalgetreu ausgestatteten Paradeappartements facettenreiche Einblicke in die jahrhundertelange Herrschaft der Hohenzollerndynastie. Der westliche Flügel, die Große Orangerie, wird als Eventlocation für private und öffentliche Anlässe vermietet; regelmäßig finden hier auch Konzerte statt, die Meisterwerke des Barocks und der Klassik zu Gehör bringen.

Das Gebäudeensemble umgibt ein 55 Hektar großer Schlossgarten. Der Park kombiniert die strenge Geometrie barocker Gartenanlagen und die lockeren Ar-rangements englischer Landschaftsgärten. Das Parterre hinter dem Kerngebäude des Schlosses wurde in den 1950er-Jahren allerdings unhistorisch nach barocken Musterbüchern gestaltet, weil die Wiederherstellung des Originalzustandes zu pflegeaufwendig erschien. Die umliegenden Wiesen- und Waldflächen laden zum Lustwandeln ein und sind seit langer Zeit schon ein beliebtes Naherholungsgebiet, das für neugierige Flaneure einige Überraschungen bereithält.

Mausoleum im Schlosspark Charlottenburg

So findet man am Ende einer dunklen, von Tannen besäumten Allee das Mausoleum, das König Friedrich Wilhelm III. 1810 für seine jungverstorbene Gemahlin Luise errichten ließ. Das marmorne Grabmal mit der schlafenden Luise gilt als künstlerisch bedeutsamstes Objekt des Mausoleums und zählt zu den zentralen Werken Christian Daniel Rauchs. Der ebenfalls von Rauch geschaffene Sarkophag für Friedrich Wilhelm III. löst mit dem Faltenwurf des Lakens, dem gewellten Haar, den biedermeierlichen Herrenschuhen und der Detailverliebtheit beim Gestalten der Uniform eine ähnlich große Faszination aus. Zudem portraitiert Rauch hier nicht den 1840 im Alter von 69 Jahren verstorbenen Toten, sondern den jungen, schneidigen Regenten, der er war, bevor seine Frau starb.

Um so skurriler nimmt sich daneben das erste deutsche Kaiserpaar aus, für das 1894 zwei von Erdmann Encke geschaffene Marmorsarkophage aufgestellt wurden. Schwer vorstellbar ist, dass es sich bei dem 90-jährigen Wilhelm I. († 1888) und seiner mit fast 80 Jahren verstorbenen Frau Augusta († 1890) um den zweiten Sohn und die Schwiegertochter des jungen Königspaares handelt. Die vier aufgestellten Sarkophage sind sogenannte Kenotaphe, also Scheingräber, die keine sterblichen Überreste enthalten. Die Leichname liegen in Metallsärgen in der öffentlich nicht zugänglichen Gruft des Mausoleums, das – wie auch das Schloss – in der Hand der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten liegt.

Stülerbau-Ost

Dem Schloss gegenüber stehen zwei von Friedrich August Stüler entworfene, mit ihren Kuppeln architektonisch Bezug auf das Schloss nehmende Kasernenbauten, die nahezu 100 Jahre von Militär und Polizei genutzt wurden und nun schon sechs Jahrzehnte Standorte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind. Im geteilten Berlin waren hier das Ägyptische Museum und die Antikensammlung zu Hause, die nach der Wiedervereinigung mit ihren Beständen auf die Museumsinsel zogen.

Sammlung Scharf-Gerstenberg

Im östliche Stülerbau und dem angrenzenden Marstall-Gebäude hat seit 2008 die Sammlung Scharf-Gerstenberg ein Zuhause gefunden. Gezeigt werden unter dem Titel „Surreale Welten“ die Entwicklungslinien fantastischer Kunst, die mit Werken von Piranesi und de Goya beginnen und im Surrealismus von Max Ernst, René Magritte und Salvador Dalí und mehr noch in der Art brut von Jean Dubuffet gipfeln.

Bereits seit 1996 beherbergt der westliche Stülerbau das Museum Berggruen, das mit Wechselausstellungen Werke der klassischen Moderne aus der Sammlung des Kunsthändlers, Gale risten und Mäzens Heinz Berggruen zeigt. Zu entdecken gibt es bekannte und weniger bekannte Werke von Pablo Picasso, Paul Klee, Henri Matisse, Alberto Giacometti oder George Braque.

Bröhan-Museum

Nebenan, im einstigen Mannschaftsgebäude der Kasernen, findet man seit 35 Jahren das Bröhan-Museum, dessen Existenz ebenfalls einer privaten Sammelleidenschaft zu verdanken ist. An seinem 60. Geburtstag übereignete der Unternehmer Karl H. Bröhan dem Land Berlin seine einzigartige Sammlung von Jugendstil-Exponaten, Art-Déco-Objekten und Kunstwerken der Berliner Secessionisten, die in einer Dauerausstellung präsentiert und durch thematische Wechselausstellungen mit bildender und angewandter Kunst sowie mit Design von 1950 bis heute kontextualisiert und ergänzt werden.

Abguss-Sammlung Antiker Plastik

Dem Bröhan-Museum gegenüber, hinter dem östlichen Stülerbau, befindet sich seit dreißig Jahren die Abguss-Sammlung Antiker Plastik der Freien Universität Berlin. Lose sortiert stehen hier in einer großen Halle – eher platzsparend hineingeschoben als museal präsentiert – mehr als 2.000 Abgüsse griechischer und römischer Skulpturen, die einen geballten Überblick über die Geschichte der antiken Plastik geben. Regelmäßig inszenieren zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeiten in dem Sammelsurium aus gegossenen Gipskörpern, darüber hinaus ergänzen Vorträge und Performances das Programm.

Wer sich seine Wohnung mit einem Gipsabguss verschönern möchte und das nötige Kleingeld hat, sollte in der nur 800 Meter entfernten Gipsformerei in der Sophie-Charlotte-Straße 17/18 vorbeischauen. Vor 200 Jahren durch König Friedrich III. als Königlich Preußische Gipsgussanstalt gegründet, ist sie die älteste Institution der Staatlichen Museen zu Berlin. 1891 bezog sie ihre heutigen Räumlichkeiten, in denen man sich hochwertige Repliken von Skulpturen und Reliefs aus aller Welt und allen Epochen in Originalgröße oder als Miniatur anfertigen lassen kann. Der Verkaufsraum ist werktags geöffnet, in regelmäßigen Abständen finden Führungen durch die Werkstätten statt.

Keramik-Museum

Wer lieber geformtes Kunsthandwerk statt gegossener Kunstwerke sehen möchte, dem sei ein Besuch im Keramik-Museum in der Schustehrusstraße 13 ans Herz gelegt. Untergebracht im ältesten noch erhaltenen Haus Charlottenburgs feiert das Museum gerade die 100. Ausstellung in seiner knapp dreißigjährigen Geschichte. Zu sehen gibt es vor allem Keramik des 19. und 20. Jahrhunderts, vorrangig werden bekannte Keramikerinnen und Keramiker in Einzelausstellungen gewürdigt, darüber hinaus zeigen die Sonderschauen, dass die künstlerische und kunsthandwerkliche Gestaltung mit Ton unglaublich vielfältig ist.

Cafégarten Villa Oppenheim

Zur Vielfalt der Museen, die sich in unmittelbarer Nähe des Charlottenburger Schlosses versammelt haben, gehört seit 2012 auch das Bezirksmuseum, dass in die versteckt am Schustehruspark liegende Gründerzeitvilla der Bankiersfamilie Oppenheim gezogen ist. Eine Ausstellung im Foyer dokumentiert die Geschichte der einstigen „Villa Sorgenfrei“ ebenso wie die ihrer Bewohnerinnen und Bewohner. Die Dauerausstellung „Westen!“ beleuchtet die Rolle Charlottenburgs und Wilmersdorfs als zweites Stadtzentrum neben der historischen Mitte Berlin. Im ersten Stock des Museums hat die historische Kunstsammlung der bis 1920 selbstständigen Großstadt Charlottenburg ihren Platz: Hier findet man Werke berühmter Künstler wie Max Liebermann, Hans Baluschek oder Walter Leistikow.

Darüber hinaus widmen sich Sonderausstellungen regionalen Themen: Noch bis 16. Juni 2019 ist die liebevoll gestaltete, für Kinder und Jugendliche konzipierte Ausstellung „Susi, die Enkelin von Haus Nummer 4“ zu sehen, die vom Überleben einer im Nationalsozialismus als Juden verfolgten Familie erzählt. Sie beruht auf der gleichnamigen, 2016 erschienenen Graphic Novel von Brigitta Behr (ars edition, 15,00€) und bietet einen kindgerechten Zugang zum Thema des Holocaust.

Kindgerecht ist auch das Programm am Puppentheater Berlin, das sich vorrangig an Kitagruppen und Grundschulklassen richtet. Zwanzig Stücke sind im Repertoire des bis zu 70 Zuschauerinnen und Zuschauer fassenden Theaters, fast alle werden mit Livemusik begleitet.

Café Theater Schalotte

Live-Musik und Theater gibt es nur wenige Meter weiter auch abends zu erleben. Das ehrenamtlich geführte Café Theater Schalotte bietet seit 1980 ein abwechslungsreiches Bühnenprogramm mit Chorkonzerten, Tanzaufführungen, Comedy-Shows oder Nachwuchsunterhaltung.

Rund um das Schloss Charlottenburg gibt es kulturell also einiges zu entdecken. Da sollte zum Abschluss ein Mann nicht unerwähnt bleiben, den nur die wenigsten mit Charlottenburg in Verbindung bringen, sondern eher mit den proletarischen Arbeitervierteln Alt-Berlins. Dabei schossen im Zuge der Industrialisierung auch in Charlottenburg die Mietskasernen reihenweise aus dem beackerten Sandboden, sodass der Grafiker, Maler und Fotograf Heinrich Zille das, was er sein „Milljöh“ nannte, direkt vor der Haustür fand. Seit 1892 lebte Zille in der Sophie-Charlotte-Straße 88 in einer großzügigen Altbauwohnung, in der er 37 Jahre später starb. An der Fassade seines Wohnhauses erinnert nicht nur eine Bronzetafel an den „Pinselheinrich“, sondern auch die verwitterte Markise eines seit Jahren leerstehenden Restaurants. ■

Text & Fotos: Marc Lippuner

Marc Lippuner hat Germanistik, Geschichte sowie Kultur- und Medienmanagement studiert. Nach Jahren als Theatermacher leitet er seit 2017 die WABE im Herzen von Prenzlauer Berg. Nebenbei frönt er mit den von ihm gegründeten Kulturfritzen, einem kleinen Projektbüro für kulturelle Angelegenheiten, seiner Berlin-Liebe.
Auf Twitter postet er nahezu jeden Tag einen #Berlinfakt, im Frühjahr erschien sein Spaziergangsführer für den Großbezirk Pankow im Elsengold-Verlag.
Für unser Magazin begibt er sich auf kulturelle Entdeckungsreisen durch die Berliner Kieze, darüberhinaus gibt es immer eine Handvoll Empfehlungen für Kultur-Events, die man im kommenden Quartal seiner Meinung nach nicht verpassen sollte.