Kurz und Knapp Portrait

„Kurz und knapp“ – Felix Meyer

 ​„Kurz und knapp“ ist eine Interviewserie des Berliner Fotografen Jens Wazel, ​basierend auf seinen Videoporträts auf ​www.jenswazelphotography.com

Kurz und knapp … wer bist du?

​Ich bin Sänger, Texter und Dokumentarfotograf. Die ​Musik, die wir machen, bewegt sich irgendwo zwischen ​Folk, Chanson und vielleicht auch ein ganz klein wenig ​Popmusik. Man könnte bestimmt so etwas wie Liedermacherei ​dazu sagen, der Begriff ist nur etwas aus der ​Mode gekommen. ​

Was sind die Wurzeln eurer Musik? ​

Die Wurzeln unserer Musik liegen zum einen in der ​amerikanischen Folkmusik. Meine Jugend war die ​Grunge-Zeit, mit Nirvana, Pearl Jam, Soundgarden, ​und das kam fast alles aus Amerika damals. Dann ​waren da aber auch die Reisen durch Frankreich, und ​da sind einem die ganzen Chansoniers über den Weg ​gelaufen. Aus den beiden Kulturen speist sich unsere ​Musik, und dazwischen findet dann entweder Abwegiges ​oder Pop statt. ​

Worum geht es in den Texten?

Am Anfang waren viele Reisebilder auf den Platten. ​Ich sage oft Bilder, wenn ich Texte meine, weil ich von ​der Fotografie komme. Das geht alles in eine ähnliche ​Richtung bei mir, weil die Sprache, die ich spreche und ​schreibe, auch relativ bildhaft ist. ​

Ich finde, dass die Popmusik sich herausnimmt, dass es ​sich bei ihr fast nur um Liebe dreht. Ich verstehe das ​überhaupt nicht, weil es doch in allen Kulturbereichen ​um alles geht, und vor allem um so viel mehr als um ​das alte „Ich und du“, „Was mache ich nur, wenn du ​weg bist“, oder „Es geht mir so gut, weil du da bist“. ​Ich wollte, dass bei uns mehr passiert in den Texten, ​und so waren die auch von Anfang an relativ gesellschaftsrelevant. ​

Wie habt ihr angefangen? ​

Wir haben als Straßenmusiker angefangen und wurden ​dann von einem relativ berühmten Produzenten angesprochen, ​der uns in Lüneburg auf der Straße gesehen ​hat. Daraus ist dieses Projekt entstanden, mit eigenen ​Liedern, eigenen Texten. Jetzt spielen wir entweder mit ​einer größeren Band – dann sind wir zu sechst – auf ​der Bühne, in Clubs, Theatern oder Kinos. Oder wir ​spielen im Duo oder Trio und dann auch manchmal ​im kleineren Rahmen. ​

Spielt ihr auch immer noch auf der Straße? ​

Seit ungefähr sechs Jahren spielen wir jetzt schon nicht ​mehr auf der Straße. Wir hatten das fast 20 Jahre lang ​gemacht und wussten genau, wie es funktioniert. Ich ​war da sehr pedantisch: mit der Ecke, an der man spielt, ​wie man sich hinstellt, von wo das Publikum kommt. ​Wir hatten das so perfektioniert, dass wir nach zwei, ​drei Liedern einen Kreis von Leuten um uns hatten, ​der wurde dann immer dichter, und nach sieben Songs ​waren es oft 200 Leute. ​

Und dann? ​

Auf der Straße musst du immer erstmal laut sein, verhaltensauffällig ​eigentlich. Und darauf hatte ich irgendwann ​keine Lust mehr, denn ich musste natürlich ​der Lauteste sein und immer über eine Band drüber ​singen, was auch anstrengend ist, wenn man das drei-, ​viermal am Tag macht. Und irgendwann war die Herausforderung ​nicht mehr da. Wir hatten straßenmusikmäßig ​alles geschafft, was man schaffen konnte. Wir ​haben mit ARTE eine Doku über die Zeit gedreht. Es ​war wunderbar.

​Aber Aspekte davon gibt es doch noch in euren ​Konzerten, oder?

​Ja, diesen Straßenmusik-Aspekt im Konzert unterzubringen, ​das ist wieder ein neues Thema, und das ​macht wahnsinnig Spaß. Zum Beispiel das letzte oder ​vorletzte Lied, das wir oft im Publikum spielen ganz ​ohne Mikrofon. Und was man dann hört oder nicht ​hört, ist nicht mehr so wichtig, wenn alle mitsingen. ​

Habt ihr seit dem Beginn von Corona schon ​wieder live gespielt? ​

Wir haben bisher drei Konzerte gespielt, das erste ​schon im Mai in Chemnitz, eines der ersten Konzerte, ​das es in Sachsen überhaupt wieder gegeben hat. ​Es sah fast aus wie eine Kunstinstallation, denn das ​Konzert wurde vom Saal auf den Hof vom Wasserschloss ​Klaffenbach verlegt, und es wurden 200 Stühle ​im Abstand von 1,5 Metern mit Markierungen auf dem ​Boden platziert. In Rostock war es ähnlich, da haben ​sie das Publikum 270 Grad um die Bühne herumgesetzt, ​was sehr schön war.

​Vor Kurzem hatten wir ein sehr besonderes Konzert in ​Stuttgart, beim Festival Bunter Beton. Da habe ich das ​erste Mal ein Kopfhörerkonzert gespielt, und es war ​wirklich wunderschön: erstens dasselbe zu hören, was ​das Publikum auch hört, weil alle die gleichen Kopfhörer ​auf den Ohren haben, und dann die Möglichkeit, ​den Leuten ins Ohr flüstern zu können. Das war eine ​sehr spezielle Erfahrung.

Ich könnte mir vorstellen, ​dass wir dieses Jahr vielleicht noch ein paar Konzerte ​im kleineren Rahmen machen, mit Gitarre oder Piano.

Und ansonsten? ​

Nachdem klar war, dass die meisten Konzerte, die wir ​geplant hatten, nicht stattfinden würden, stellte sich ​natürlich die Frage, was man mit einer Band und der ​Möglichkeit, Musik zu machen, anfangen könnte. Und ​dann haben wir uns regelmäßig einmal die Woche in ​einem Raum im Netz getroffen, über alles Mögliche ​gesprochen und uns dann gegenseitig Ideen vorgespielt. ​Ich habe Textansätze gehabt, die ich vorgesungen habe. ​Daraus sind Akkordfolgen geworden. Die anderen haben ​Akkordfolgen gehabt, die sie mir geschickt haben, dazu ​habe ich dann Texte geschrieben. Und so haben wir es ​geschafft, innerhalb von sehr kurzer Zeit ein Album ​aus dem Boden zu stampfen, das wir jetzt im Herbst ​aufnehmen werden. ​

Wie geht es euch als Künstlern, gibt es ​Existenzängste aufgrund der Situation? ​

Das direkte Umfeld von Künstlern, mit denen ich in ​den letzten Jahren zu tun hatte, scheint ganz gut klarzukommen. ​Sie nutzen die Zeit, um mal etwas anderes ​zu machen, zum Beispiel neue Lieder zu schreiben ​und einen Schritt langsamer an die nächsten Projekte ​heranzugehen. ​

Also muss man sich keine Sorgen machen? ​

Wir müssen uns in allererster Linie nicht über die Künstler ​Sorgen machen, denn die sind mobil, die können ​sich neue Sachen ausdenken. Ob sie Kopfhörerkonzerte ​geben oder Straßenmusik machen oder im Wohnzimmer ​spielen, sie werden Wege finden zu überleben. Ich ​kenne viele Leute, die gerade viel spielen und richtig viel ​unterwegs sind, weil sie mal schauen mussten, was sie ​jetzt eigentlich machen. Und wenn man anfängt, dann ​findet man auch Möglichkeiten.

​Worüber wir uns aber wirklich Sorgen machen sollten, ​sind die Immobilien, also die Veranstaltungsorte. Die ​sind zwar zum Teil staatlich gefördert, aber oft sind ​sie es auch nicht. Und wenn in so einer schönen alten ​Fabrikhalle, in der seit 20 Jahren Theater stattfindet, ​erst einmal Lofts drin sind, dann wird das kein Theater ​mehr. Und das ist das, was sich dann als zweite Welle ​für Künstler auswirken könnte. Wenn jetzt das große ​Veranstaltersterben beginnt und die Veranstaltungsorte ​wegfallen, dann wird für die Kultur natürlich der Platz ​auch enger. ​

Was hast du persönlich noch für Ideen?

​Ich bin in einem Alter, wo ich die Herausforderung annehme ​und erst mal sage: „Egal, wie lange es dauert, ich ​habe noch viele Sachen in der Schublade, die ich auch ​gerne mal machen würde.“ Wir waren Anfang des Jahres ​im Rahmen einer Künstlerresidenz mit den Kindern ​drei Monate in Japan. Da habe ich ein kleines Handwerk ​gelernt: Kintsugi. Ich könnte mir vorstellen, mehr ​daraus zu machen. Ich habe einen Roman, an dem ich ​seit Jahren schreibe. Und ich habe in Kyoto ein Märchen ​geschrieben und würde das gerne mit jemandem zu ​einem Kinderbuch oder zu einem Hörspiel ausarbeiten.

​Es gibt viele Sachen, die ich gerne machen würde und ​die auch alle viel Zeit in Anspruch nehmen. Jetzt arbeite ​ich an dem Album und wir planen erstmal um die ​50 Termine fürs nächste Jahr. Auf irgendeine Art und ​Weise wird das schon hinhauen. ​

Einrichten im „neuen Normal“?

Die Strokes haben dieses Jahr ein neues Album veröffentlicht, ​das heißt „The New Abnormal“. Ich finde ​das sehr passend, denn es war auch vorher schon eine ​unnormale Welt und vieles, was durch unsere Lebensweise ​passiert, ist nicht gut. Jetzt wird es eine andere ​unnormale Welt geben. Es könnte sehr hässlich werden. ​Muss es aber nicht. Es wird bestimmt nicht alles gut, ​aber es gibt die Möglichkeit, dass manche Sachen, die ​vorher nicht in Ordnung waren in Zukunft ein bisschen ​besser werden. ​

Vielen Dank ​

Felix Meyer ist Sänger, Texter ​und Dokumentarfotograf. Er ​lebt mit der Filmemacherin ​Luise Donschen und den zwei ​gemeinsamen Kindern in ​Pankow.
Sein fünftes Studioalbum ​„Die im Dunkeln hört ​man doch“ erschien im Herbst ​2019. Er arbeitet derzeit an ​einem neuen Album. ​www.felixmeyer.eu

Jens Wazel ist Fotograf ​und Tanzlehrer. Im Osten ​aufgewachsen, wohnt er nun ​– nach 25 Jahren in den USA – ​wieder in Prenzlauer Berg. ​
Er hat eine Serie mit Videoportraits ​und arbeitet an einer ​Dokumentation über die Geschichte ​des „Conscious Dance“. ​www.jenswazelphotography.com ​

​Fotos: Jens Wazel ​