Portrait

Inga Lindström: Alltagsflucht mit Filmen, die an die schöne Welt von Bullerbü erinnern

Inga-Lindström

Christiane Sadlo alias Inga Lindström ist eine Frau, die gern Geschichten erzählt. Sie schreibt Drehbücher über Sehnsuchtsorte, die an eine heile Kindheit erinnern. Während sie privat zu den Krimileserinnen zählt, fließt ihr beruflich die Romantik aus der Feder. Doch das romantisch-kitschige Genre zum Wegträumen und die Marke Inga Lindström ist tatsächlich ein Produkt des Zufalls.

Ihre Heimat ist das Schwabenland. Von Ravensburg führte sie ihr Weg über Freiburg nach München und schließlich 2002 nach Berlin. Nachdem das gemeinsame Kind ausgezogen war, wollten sie und ihr mittlerweile verstorbener Mann eigentlich die Hälfte des Jahres in ihrem Haus in Italien verbringen und die andere Hälfte in München. „Das haben wir dann tatsächlich nie gemacht. Damals haben wir richtig schön in der Prinzregentenstraße gewohnt und die typisch hohe Münchener Miete gezahlt“, erzählt die gebürtige Schwäbin. Aber ein halbes Jahr nicht da zu sein und das Geld praktisch aus dem Fenster zu werfen, dazu war Sadlo dann doch zu schwäbisch. Und etwas in München zu kaufen, war schon zu jener Zeit völlig illusorisch. Christiane Sadlos Mann, der Bildhauer Karl Halt Trossbach, hatte nach seiner Buchhändlerlehre in den 60er-Jahren „noch so einen Koffer in Berlin“, der mit Sehnsucht gefüllt war. Als die beiden 2001 zu einem Termin nach Berlin fuhren, kam die Idee ganz spontan: Warum eigentlich nicht Berlin? Die Hauptstadt hat ihren Reiz auf das Schwabenkind ausgeübt. „Man konnte sich hier finden und verlieren und wiederfinden und erfinden.“ Außerdem bezeichnet sich Sadlo selbst als „Baustellenspecht“: „Wenn es unfertig ist und sich ständig verändert, finde ich es schön.“ In dieser Hinsicht sind die Verlockungen in der sich ständig wandelnden Metropole natürlich riesig.

Ein neues Zuhause in Berlin

Dass ihr neues Zuhause Ostberlin wurde, war nicht geplant. „Aus München kommend habe ich mich nach Charlottenburg gesehnt, selbstverständlich. Aber die wollten mich da gerade nicht“, schmunzelt sie. Letztlich landeten sie und ihr Mann in einem unrenovierten Dachgeschoss in Mitte. Obwohl die beiden den Kaufpreis um ein Drittel runterhandeln konnten, war das ein immenser Schritt: „Eigentlich war uns das immer noch zu viel Geld, aber irgendwie saßen wir in der Falle …

Danach habe ich mich ein halbes Jahr lang bei Wer wird Millionär? beworben“, Christiane Sadlo bricht in schallendes Gelächter aus, als sie an diese Zeit zurückdenkt. Zwischen der Idee, nach Berlin zu ziehen und dem Kaufvertrag, lagen knapp drei Monate. Heute will die Autorin gar nicht mehr aus Berlin weg. Baustellen faszinieren sie noch immer, und sie erkundet gern voller Neugier mit ihrem Hund verschiedene Ecken in oder außerhalb der Stadt. Sie liebt ihren Kiez, die Spätis und die Markthallen, Galerien, Pop-up-Läden und natürlich Museen und Opernhäuser.

Von der Freiberuflichkeit über die Dramaturgieassistenz zum erfolgreichen Drehbuchschreiben

Die bekannte Drehbuchautorin hat ihre Heimatstadt Ravensburg zum Studieren verlassen. Sie wollte Lehrerin werden und wählte dafür Germanistik und Anglistik. Von dieser ursprünglichen Berufsidee kam sie ab, als sie in Freiburg anfing, als Dramaturgie- und Regieassistentin am Theater zu arbeiten. „Da fingen die Umwege, die Kurven und das lustige Rauf und Runter in meinem Leben an.“ So schön und wild es am Theater auch war, zog es sie 1978 nach München, wo sie begann, Jura zu studieren. In ihrer Journalistenclique hatte sie bereits in Freiburg Kontakte zu diversen Zeitungen, für die sie Filmkritiken u. Ä. schrieb. „Ich habe immer ein bisschen geschrieben und Rundfunk gemacht. Nebenbei habe ich so vor mich hin studiert und stellte irgendwann fest, dass ich meistens bei den Rechtshistorikern bin. Eigentlich nicht so richtig da, wo man hinsollte.“ Eines Tages bekam sie von ihrem Professor die Quittung. Unter ihrer Strafrechtsarbeit stand: „In der Sache richtig, aber zu feuilletonistisch.“ Er riet ihr, doch lieber Krimis zu schreiben. „Das war der Auftakt ins Lotterleben“, blickt sie zurück. Ihre tapferen Eltern tun ihr noch heute leid. Der Vater Beamter, die Mutter Chefsekretärin in einem Notariat: „Mein Bruder wurde im Gegensatz zu mir was ‚Vernünftiges‘, nämlich Jurist. Ich dagegen schleuderte meine Eltern ins nächste Entsetzen, als ich sagte: ‚Ich will irgendwas mit Kultur machen. Egal ob Theater, Film, Fernsehen oder Journalismus.‘“ Ihr selbst war Sicherheit nicht wichtig. Aber als sie dann Mutter wurde, schien ihr die unsichere Freiberuflichkeit doch nicht mehr praktikabel und der Ausweg ins Kloster auch nicht mehr gegeben.

Für Christiane Sadlo ergab sich dann die Gelegenheit, bei der Kirch-Gruppe als Dramaturgin einzusteigen. „Das waren großartige Lehrjahre. Ich habe erst mal bestimmt 2.000 Bücher redigiert und vielleicht 50 Filme dramaturgisch betreut, international und national. Filme und Serien. Also alles, was es für das Fernsehen gerade gab.“ Dort blieb sie und hatte etwa 1990/91 eine eigene Idee, für die sie den Produzenten Thilo Kleine gewinnen konnte: Schloss Hohenstein – Irrwege zum Glück. „Die Amerikaner hatten das schon längst mit dem Denver Clan u. Ä. Wir hatten das nicht. Das deutsche Fernsehen hat sich da eher geschämt. Sie haben die Serien eingekauft und synchronisiert, aber noch lange nicht selbst produziert. Ich fing also an, den Kitsch neu zu definieren.“ Die für das Projekt angedachte Autorin entpuppte sich jedoch als Scientologin. Der auf sie folgende Autor, der eigentlich auf Krimis spezialisiert war, verstarb mitten im Entwicklungsprozess. „Das war natürlich eine Tragödie. Dem ersten Entsetzen folgte die berühmte Haltung ‚the show must go on‘. Keine Frage, die Serie war an die ARD verkauft, der Sendeplatz stand fest, es gab keine andere Möglichkeit: Wir mussten es also durchziehen.“ So bekam Sadlo ihre Chance: Sie durfte die sechs Teile der Drehbücher selbst schreiben. Und das am Abend und am Wochenende neben ihrem zeitintensiven Job. Nachdem zwei weitere Regisseure verschlissen waren, fand sich kurz vor knapp der fast 80-jährige Regisseur Georg Tressler, der vor allem mit seinem Film Die Halbstarken 1956 das Bild des deutschen Films neu geprägt hatte, und der Spaß daran hatte, in seinem hohen Alter noch einmal etwas Neues zu machen. Mit Sophie von Kessel in ihrer allerersten Rolle, mit Mathieu Carrière und Ruth-Maria Kubitschek war die Besetzung ziemlich hochkarätig. „Die Serie schlug so ein, dass der Sender mich noch in der Nacht der ersten Ausstrahlung angerufen hat und eine Fortsetzung forderte. ‚Egal, dass sie sich gekriegt haben. Wir müssen weitermachen.‘“

Hohe Quoten, starke Marke – worin liegt die Faszination?

Als Christiane Sadlo mit dem Drehbuchschreiben anfing, lagen die Quoten gern zwischen 5 und 8 Millionen Zuschauenden. Die ZDF-Reihe Inga Lindström, die 2004 zum ersten Mal auf Sendung ging, wurde zu einer Marke. Nach über 90 Schwedenfilmen könnte man meinen, die Leute würden sich etwas Abwechslung wünschen, aber die nach wie vor hohen Zuschauerzahlen sprechen eine andere Sprache. Anscheinend hat Sadlo mit ihren Filmen ins Herz der Zuschauenden getroffen.

„Gemeinsam mit dem Redakteur vom ZDF, der für diese ganzen Sonntagabendfilme zuständig war, hatte ich überlegt, ob wir nicht noch was wie Pilcher machen können. Dann kam ich auf Schweden. Eigentlich ist mein Sehnsuchtsland Italien. Aber deutsche Produktionen in Italien funktionieren nie so gut wie z. B. Rosamunde-Pilcher-Filme, wenn man mal von den Brunetti-Filmen absieht, deren Erfolg auf der Marke Donna Leon fußt. Wenn man sich das recht überlegt, ist eigentlich schnell klar: Der Deutsche ist viel mehr ein Schwede als ein Italiener.“ Schweden erinnert an Bullerbü. Astrid Lindgren hat mit ihren Büchern und Filmen die Sehnsucht nach einer schönen Kindheit geweckt. Schweden ist ein Land, das die deutschen Herzen berührt. Vielleicht ist es dieses „Bullerbü-Syndrom“, das die Filme aufgreifen. „Bei Lindgren ist die Kindheit zwar heile, aber für mich ist der eigentliche Punkt dieses Welterfolgs, dass sie ihre Kinderfiguren ernst genommen hat. Diese Kinder waren Charaktere, die durften ernsthaft sein, Meinungen haben. Vor allem wurden sie von den Erwachsenen ernst genommen. Dazu kommt natürlich, dass Schweden wahnsinnig schön ist. Denken wir nur an das Mittsommerlicht, die Inseln und Schären.“

Zu einer Person des öffentlichen Lebens wurde Christiane Sadlo alias Inga Lindström spätestens in dem Moment, als sie haufenweise Zuschriften erreichten von Zuschauern, die sich in ihren Geschichten wiederfinden konnten, weil sie Ähnliches persönlich erlebt haben. „Die Leute fühlen sich durchaus abgeholt und auch erkannt“, fasst die Autorin den Erfolg zusammen. Nicht zu unterschätzen ist aber die Wirkung dieser Filme als Alltagsflucht: „Meiner Meinung dienen solche Filme der Flucht und auch dem Trost. Erst schaue ich Nachrichten über Pandemie und Krieg. Und dann schaue ich 90 Minuten Lindström und muss in dieser Zeit einfach mal nicht über Sorgen und Leid nachdenken. Jeder weiß, dass die Filme nicht die Realität sind; Krimis sind das ja auch nicht. Wir machen Fiktion, wir erzählen.“

Wie entstehen die Geschichten?

Auch wenn vermeintlich einfache Kunstwerke oder triviale Geschichten manch einen zu dem Gedanken verleiten mögen, das doch auch selbst zu können, gehört zum Schreiben einer funktionierenden Story mit dramaturgischem Aufbau doch einiges an Erzähltalent und Handwerkszeug. Hinter einem fertigen Drehbuch steckt harte Arbeit, mag die Geschichte noch so kitschig sein. Die Autorin der schwedischen Herzkinofilme hat mittlerweile mehr als 120 Drehbücher geschrieben. Wenn so viele Liebesgeschichten hinter einer Erzählerin liegen – und das Prinzip boy meets girl oder boy meets boy immer gleich ist –, dann sollte man meinen, dass sich alles irgendwann wiederholt. Beim Herzkino ist das Ziel klar: Am Ende kriegen sie sich. Für Sadlo ist dann auch das eigentlich Spannende der Weg zum Happy End: Was passiert? Wo haben die Protagonisten ihre Probleme? Wo verlieren sie sich wieder? Wo bekennen sie sich? Christiane Sadlo interessiert sich für Geschichten, sie hört zu, liest viel und schaut sich Filme und Serien an, bevor sie mitredet oder gar selbst etwas erarbeitet. „Ich habe irgendwann gemerkt, dass mich die Geschichten der Personen und hinter den Dingen interessieren. Ich schreibe keine riesigen Abenteuergeschichten, sondern letzten Endes sind es immer Kammerspiele um alltägliche Schicksale, die jedem passieren könnten. Mal ein bisschen größer, mal ein bisschen kleiner.“

Christiane Sadlo

studierte an der Universität Freiburg und der Universität München Anglistik, Germanistik und Jura. Danach arbeitete sie als Regie- und Dramaturgieassistentin am Theater Freiburg.

Einmal wegträumen nach Schweden!

Inga Lindström – Geschichten mitten aus dem Leben

www.zdf.de/serien/inga-lindstroem

ⓒ Fotos: Pavol Putnoki