Kurz und Knapp Portrait

“Kurz und Knapp” – Johanna Schall

„Kurz und knapp“ ist eine Interviewserie des Berliner Fotografen Jens Wazel
www.jenswazelphotography.com

Kurz und knapp … wer bist du? 

Ich bin Theaterregisseurin. Im Hauptberuf war ich früher Schauspielerin und davor Krankenschwester. 

Du kommst aus einer Künstlerfamilie … 

Ja, die eine Hälfte meiner Familie ist sehr stark mit dem Theater verbunden: Mein Großvater war Schriftsteller, meine Großmutter war Schauspielerin, meine Mutter war Schauspielerin, mein Vater war Schauspieler, meine Schwester ist Kostümbildnerin. Die anderen haben alle ganz vernünftige Berufe. 

War das manchmal schwierig? 

Mein Großvater war Bertolt Brecht, und dadurch ist das immer wie eine Wolke, die erst einmal vorbeiziehen muss, bevor die Leute mich dann sehen. Das bin ich gewöhnt. Und es hat ja auch Vorteile. 

Wolltest du schon als Kind Schauspielerin werden? 

Nein. Schon weil mich immer alle gefragt haben: „Na, du wirst doch sicher Schauspielerin?!“ Aber irgendwann habe ich festgestellt, dass ich diese Sehnsucht in mir habe. Ich bin eines Morgens wach geworden und wusste, ich kann mich da nicht drücken, weil es das ist, was ich machen will. Ich habe den Abschluss gemacht an der Ernst Busch und war dann lange am Deutschen Theater engagiert. Ich hatte irres Glück. Mein Mentor war Alexander Lang, und ich habe bei Thomas Langhoff gespielt, bei Heiner Müller und bei Frank Castorf. 

Beruf oder Berufung? 

Es ist ein ziemlich anstrengender Beruf, es ist viel Arbeit. Und für die meisten ist das ein finanziell prekärer Beruf, der sehr unsicher ist, weil du immer abhängig bist vom Urteil anderer, ob dich jemand toll findet oder nicht, ob du gerade in der richtigen Altersgruppe bist oder das richtige Gesicht hast, hübsch genug bist oder zu hübsch bist, oder was auch immer. Also wenn man eine andere Variante hat, sollte man nicht Schauspieler werden. Aber wenn man nicht anders kann, dann ist es egal, dann musst du halt, dann ist das so. 

Du arbeitest heute hauptsächlich als Regisseurin … 

Ja, das hat am DT angefangen, und nach meiner Zeit dort bin ich die meiste Zeit freischaffend gewesen, bis auf fünf Jahre, wo ich in Rostock am Volkstheater Schauspieldirektorin war. Und ich habe zwei Jahre in Toronto gearbeitet. Aber meistens inszeniere ich innerhalb von Deutschland Theater, alle Genres. 

Zum Beispiel? 

Ich mache gerne Komödie, aber auch Musical und das richtig klassische Drama und Gegenwartsstücke. Wenn sich das gut abwechselt, finde ich das toll. Ich bin ein Kleistverehrer heftigster Art, das ist für mich die Spitze deutscher Sprache. Und Shakespeare, klar. 

Was ist dein Stil? 

Ich glaube, mein Theater ist relativ physisch, sehr spielerisch, sehr schauspielerbezogen. Ich habe eine ziemlich blühende Fantasie, die ich mitteilen kann, sodass die Schauspieler auch anfangen mitzuspinnen. Ich kann mich verständlich machen. Und dadurch, dass ich selber so lange gespielt habe, kann ich auch helfen, wenn es mal knackt. 

Was ist für dich die Kraft des Theaters? 

Dass Theater so viele Möglichkeiten bietet, wenn es lustvoll und wenn es lebendig ist, und wenn es auch eine Aggression hat. Eine Schwäche im Theater und auch im Film in Deutschland ist, dass es sehr schnell belehrend wird, also dass man den Eindruck bekommt, da weiß jemand was und das teilt er einem jetzt mit. Anstatt dass ich hineingerate in einen Schlund von Fragen und Widersprüchen und Irritationen und Verwirrungen, der mich zwingt, mich mit etwas auseinanderzusetzen. Ich arbeite wirklich ganz anders, aber sich wie Castorf ein Stück zu nehmen, es genau zu lesen und dann zu zerschmettern und zu sehen, was da an einzelnen Knochen herumliegt, was man da für Fleischbrocken noch dazuwerfen kann, und dann plötzlich entsteht da so ein Golem, das ist großartig. 

Was möchtest du dem Publikum geben? 

Selberdenken ist das Schönste, was passieren kann im Publikum. Ich finde das ganz schwierig, wenn die Leute fragen: „Was wollen Sie denn mit diesem Abend sagen?“ Da sage ich immer nur: „Na das, was Sie gesehen haben, weil alles andere ist eh für die Katz.“ Ich kann mir 26 Konzeptionen ausdenken, bleiben wird das, was die Leute sehen und was sie verstehen. Und wenn meine Konzeption nicht zum Tragen kommt, dort nicht sichtbar ist, dann hab ich Pech gehabt. 

War Theater anders in der DDR? 

Das Theater spielte in der DDR dadurch, dass so viel Zensur herrschte und das öffentliche Gespräch ja sehr beobachtet, geführt und von Vorsicht geprägt war, eine merkwürdig wichtige Rolle. Man las immer, was dahinter noch gemeint sein könnte, auch wir dachten es immer mit. Im besten Sinne waren die Leute sehr hellhörig, was für Probleme – gerade politischer Art – verhandelt wurden auf der Bühne. 

Und jetzt? 

Das ist natürlich jetzt nicht mehr so, das Angebot ist riesig, Film, Fernsehen und Internet. Und ich glaube, dass das Theater in vieler Hinsicht Schwierigkeiten hat zu finden, was sein Alleinstellungspunkt ist. Was ich am Theater so liebe ist, dass es live ist, eine Begegnung zwischen Leuten. Dass es ein gemeinsames Spiel ist in gewisser Weise, und das hast du eben sonst nicht. 

Du bist in Berlin geboren … 

Als Kind habe ich in der Friedrichstraße gewohnt. Meine Großmutter, meine Mutter und mein Vater arbeiteten ja im Berliner Ensemble. Da ging man vorbei am Hintereingang des damaligen Friedrichstadtpalastes, wo immer die wunderschönen Tänzer und Tänzerinnen standen. Ich war viel in dem Theater und habe die Vorstellungen alle gesehen. Aber das war nicht glamourös, es war die Arbeitsstelle meiner Eltern. 

Und am Wochenende dann mit Helli in Buckow? 

Meine Großmutter war die Idealbesetzung für Großmutter. Sie hat gekocht, sie hat gehäkelt, sie hat sich gerne mit Kindern unterhalten. Sie konnte einen in Ruhe lassen und hat trotzdem auch viel Zeit mit mir verbracht. Man konnte sich mit ihr richtig toll streiten, was rar ist. Sie war, soweit ich mich erinnere, der einzige Erwachsene, der im Streit nicht versucht hat, sein Erwachsensein mit in die Waagschale zu werfen, sondern wirklich auf Augenhöhe gestritten hat. Tolle Frau, die ich wahnsinnig lieb gehabt habe. Sie ist immer übers Wochenende, wenn sie keine Vorstellung hatte, raus nach Buckow gefahren und hat mich mitgenommen. Und dann sind wir Schwimmen gewesen und haben Pilze sammeln, oder ich war unterwegs mit anderen Kindern. Auch in Berlin: Ich bin aus der Schule gekommen, hab mein Zeug hingeschmissen und dann war ich, bis es dunkel war, irgendwo unterwegs, das ginge ja jetzt gar nicht mehr, aber war damals einfach so. 

Spielte Politik eine Rolle? 

Als ich zehn war, 1968, da war der Einmarsch in Prag. Dann gab‘s die Biermann-Geschichte, als ich Abitur gemacht habe. Ich hatte tolle Freunde, mit denen ich tagelang über Politik und Philosophie gestritten habe und die mir – weil ich ja wirklich sehr privilegiert gelebt habe in diesem Land – auch heftigst den Kopf zurechtgestutzt haben, was gut war. Politik war ein Teil des Lebens, und gegen-was-sein, und natürlich war ich erstmal ein ziemlicher Stalinist und dann war ich erst einmal gegen alles, und dann war ich Anarchist. Und da gehörte auch dazu, dass man sich eben mit dem Autoritätssymbol streitet, was dann natürlich der Vater ist. Ich hatte meine Eltern sehr lieb, aber hatte auch alle Kämpfe, die man haben sollte. 

Gab es Familientraditionen? 

Es lief viel über Essen. Weihnachten zum Beispiel, weil meine jüdische Oma immer sagte: „Wir nehmen alle guten Feste mit, die’s gibt.“ Helli hat supertoll gekocht, und meine Mutter hieß „Backwahn“, weil sie so gerne backte. Allen in der Familie ist ein bestimmter Sinn für Humor eigen, der ziemlich schwarz ist. Es wurde viel gelacht. Und viel gebrüllt. Und viel gearbeitet. 

Du wohnst jetzt wieder in Mitte? 

Ja, ich habe einen großen Kreis gemacht und bin jetzt wieder in Mitte angelangt. 

Was magst du an Berlin? 

Ich liebe meine Stadt. Sie ist laut, sie ist dreckig, sie ist auch nicht besonders hübsch. Und voll mit Geschichte. Ich mag dieses blöde Schloss nicht, weil du ja die Linden hattest mit dieser royalen kaiserlichen Vergangenheit, und dann diesen Palast der Republik, so wuchtig und hässlich wie er war, aber er hat mit der Geschichte dieser Stadt zu tun, und dann steht da der Dom, der ja auch nicht gerade durch Schönheit auffällt, und die Marienkirche und dann dieser Fernsehturm. Es passt immer nichts zusammen und ist deswegen so überraschend. Außerdem gibt es unglaublich viele Parks und Grün. Ich habe drei Freundinnen, die mich immerzu einladen und mich irgendwo hinbringen, wo ich noch nie war in Berlin. Und so habe ich die Stadt durch Corona noch viel mehr kennengelernt, weil man ja so viel spazieren geht jetzt. 

Vielen Dank! 

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ist Theaterregisseurin. Sie war viele Jahre Schauspielerin am Deutschen Theater und arbeitet jetzt freischaffend als Regisseurin an Theatern in Deutschland. 

www.johannaschall.blogspot.com

 

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 ist Fotograf und Videofilmer. Im Osten aufgewachsen, wohnt er nach 25 Jahren in den USA wieder in Berlin.

www.jenswazelphotography.com

 

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